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Kommunikation sollte in zwei Richtungen funktionieren. Patrick Klügel fordert Public Engagement an Universitäten

„Die Krise ist ein Brennglas“, heißt es. Im gesellschaftlichen Diskurs zur Covid-19-Pandemie erleben wir ein Szenario, das Wissenschaftskommunikatoren immer wieder als Gefahr beschrieben haben: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen werden in aktuellen Debatten leicht missinterpretiert oder instrumentalisiert. Schnell wird dann nach kommunikativen Fehlern gesucht. Das zugrunde liegende Problem ist aber ein größeres: Eine Gesellschaft ohne hinreichende „Scientific Literacy“, also ohne Grundverständnis des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, reagiert angesichts immer mehr und schneller veröffentlichter neuer Erkenntnisse mit Verunsicherung. Mehr oder besser aufbereitete Kommunikation alleine führt aber nicht zu mehr Wissen oder gar zu mehr Vertrauen in der Bevölkerung. Für die Wissenschaftskommunikation wird es vielmehr wichtiger, Forschungskontexte transparent zu machen und auch präventiv vorzugehen gegen sich verbreitende Techniken der Wissenschaftsleugnung.

Die Gefahr der Instrumentalisierung und Selektion wissenschaftlicher Erkenntnisse betrifft dabei nicht nur Krisensituationen oder die zurzeit so präsente Forschung zu Viren und Impfstoffen. Ähnliches gilt für andere Disziplinen, seien es Energieforschung, Technik- und Umweltthemen oder Künstliche Intelligenz. Es ist letztlich eine Herausforderung des Wissenschaftssystems an sich, wie der Wissenschaftsrat jüngst in einem Positionspapier diagnostizierte: Wissenschaftskommunikation sei deshalb verstärkt auf das Engagement von Wissenschaftlern angewiesen, die den Dialog suchen und die Logik wissenschaftlichen Arbeitens sowie die Bedingungen der Produktion wissenschaftlichen Wissens transparent vermitteln können.

Was hier angesichts der Zäsur von Covid-19 fast nebenbei gefordert wird, kann, wenn es konsequent umgesetzt wird, einen Kulturwandel in der Wissenschaftskommunikation bedeuten. Da ist es nur einer von einigen wichtigen Aspekten, dass schon heute Wissenschaftler in Science Slams, bei Kneipenabenden und Forschungsfestivals auf anschauliche und unterhaltende Weise ihre Arbeit erklären. Was es jetzt aber braucht, ist das systematische, strukturierte und vor allem dauerhafte Einbeziehen diverser Interaktionsgruppen aus der Gesellschaft, professionell gestützt durch die wissenschaftlichen Einrichtungen selbst. Public Engagement – dieser Begriff bezeichnet in Großbritannien und den USA genau solche interaktiven Dialogmaßnahmen, die dort von eigenen Teams an den Universitäten organisiert und seit Jahren stark gefördert werden.

Die Partner im Forschungsverbund zu künstlicher Intelligenz „Cyber Valley“ haben einen solchen Schwerpunkt eingerichtet. Mit den bundesweit ersten Stellen für Public Engagement Manager an den Universitäten Tübingen und Stuttgart professionalisiert der Forschungsverbund die Interaktion mit der Gesellschaft weiter.

Im Bereich der Forschung zu Künstlicher Intelligenz (KI) liegen die genannten Herausforderungen auf der Hand: Während KI-Forschung stark gefördert wird und voranschreitet, treffen im gesellschaftlichen Diskurs sowohl Faszination, hohe Erwartungen als auch Skepsis und deutliche Ablehnung aufeinander. Die prominentesten Vorstellungen von KI werden oft von außerwissenschaftlichen Akteuren aus Industrie und Plattformökonomie – aber auch durch Narrative aus der Kulturgeschichte geprägt. Die grundlegenden Funktionsweisen der Technologie aber, der Stand der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung, ihre wichtigsten Fragestellungen und die Diversität ihrer Akteure, sind kaum bekannt.

KI-Forschungsfragen sind komplex und abstrakt. Das methodische Vorgehen dabei wird nicht nur von Laien als unverständliche Blackbox wahrgenommen, die Technologie beinhaltet tatsächlich teilweise für Menschen kaum nachvollziehbare Elemente. Zugleich aber werden die Anwendungsbereiche und gesellschaftlichen Implikationen der KI-Forschung als äußerst bedeutsam eingeschätzt. Die klassischen Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation gelten hier ganz besonders: Wie erkläre ich Kompliziertes einfach? Wie mache ich Abstraktes, Zahlen und Daten anschaulich? Es kommt noch eine weitere Herausforderung hinzu: Wie beziehe ich Laien in diese komplexen Prozesse ein?

In unserem Public Engagement verfolgen wir den Ansatz, dass der Schlüssel dafür zunächst in den Menschen selbst liegt. In einer Phase der persönlichen Begegnungen und offenen Gespräche zwischen Forschenden und Laien geben wir vor allem der Vielfalt an Per-spektiven einen Raum – und sorgen so im Idealfall dafür, dass im Austausch Neues entsteht und alle Beteiligten voneinander und miteinander lernen. Denn ein echtes Gespräch ist nicht das Vermitteln von Wissen, nicht der inszenierte Austausch eigener Wahrheiten, sondern ein offener, dialogischer Raum. Gerade in der Offenheit zeigt sich, dass Public Engagement einer anderen Logik folgt als klassische PR.

Gemeinsam mit gesellschaftlichen Interaktionsgruppen werden zum Beispiel bestimmte Public-Engagement- Formate erst entwickelt, die später qualifizierte Interaktion ermöglichen. Cyber Valley arbeitet hier mit dem städtischen Jugendgemeinderat zusammen oder vernetzt die Forschenden mit Künstlern. Forschende setzen sich in KI-Sprechstunden und einem Podcast mit Laien-Perspektiven auseinander oder üben sich im Zuhören, wenn sie selbst die Bürger interviewen. Nebenbei reift so eine Community heran, die miteinander wächst und gemeinsam komplexere Aufgaben meistert. In einer zweiten Phase kann das zu transdisziplinären oder Citizen-Science-Projekten führen.

All das verlangt den Wissenschaftlern Offenheit und vor allem die Bereitschaft ab, die eigene Komfortzone zu verlassen. Hierfür sind professionell strukturierte und gut moderierte Interaktionsräume nötig. Für eine Kultur des Gemeinschaftssinns unter den Forschenden müssen Unterstützungs- und Qualifizierungsangebote oder gar Belohnungssysteme für die Wissenschaftler geschaffen werden, die sich engagieren möchten. Als Public Engagement Manager organisieren und moderieren wir diese Prozesse so, dass sie sowohl für engagierte Forschende als auch für die beteiligten gesellschaftlichen Gruppen einen Wissens- und Verständnisgewinn bringen.

Die Gesellschaft muss nicht im Detail verstehen, wie KI und die Forschung daran funktionieren. Aber sie muss den Forschenden und den Forschungseinrichtungen, also den Entstehungsbedingungen wissenschaftlicher Ergebnisse auf informierter Basis vertrauen können. Für das informierte Vertrauen ist es entscheidend, dass drei Dinge nachvollziehbar sind: dass Wissenschaftler innerhalb ihrer Expertise methodisch vorgehen; dass sie sich an Regeln halten, die überprüft werden, und dass Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung innerhalb eines komplexen und vielfältigen Systems zu gesellschaftlichem Fortschritt führen.

Die sensibilisierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten diese Transparenz selbst herstellen können, wenn wir die passenden Interaktionsräume bereiten. Laien können verlangen, dass die Forschenden die gesellschaftlichen Implikationen ihrer Arbeit und der KI-Technologie aus ihrer Perspektive reflektieren. Wenn beides gelingt, hat Public Engagement als präventive Methode gegen Wissenschaftsleugnung, für mehr „Scientific Literacy“ und für gesellschaftsorientierte Wissenschaft ein wichtiges Ziel erreicht. //

Patrick Klügel

Patrick Klügel ist Public Engagement Manager des Cyber Valley, einem Forschungsverbund zur Künstlichen Intelligenz in Tübingen und Stuttgart.

Foto: David Ausserhofer​

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