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„Großzügig sein macht glücklich“

Neuroökonom Philippe Tobler über die Mechanismen, die unsere wertorientierten Entscheidungen beeinflussen

Herr Professor Tobler, Sie erforschen Belohnungslernen, wertbasierte Entscheidungsfindung, Gewohnheiten, moralisches Verhalten und Empathie. Was eint diese Themen?

Ihnen allen liegt die gemeinsame Frage zugrunde, wa­rum wir uns wie verhalten und welche Motive und Anreize uns dazu bewegen. Um dies herauszufinden, schauen wir unter anderem mit Magnetresonanztomographen – kurz MRT – in die Gehirne und untersuchen, wie Motive, Belohnungen und Bestrafungen verarbeitet und in Handlungen umgesetzt werden. Wir konzentrieren uns insbesondere auf vier Hauptmotive: Risikopräferenzen, Zeitpräferenzen, soziale Präferenzen und Anstrengungspräferenzen. Diese Präferenzen liegen wertbasierten Entscheidungen zugrunde. Die Risikopräferenzen zeigen, wie jemand zum Risiko und zur Unsicherheit steht, ob er diese eher sucht oder vermeidet. Bei den Zeitpräferenzen geht es etwa darum, wie lange jemand bereit ist, auf eine Belohnung zu warten. Die Bewertung von Risiko und Zeit ist individuell sehr unterschiedlich. Die sozialen Präferenzen zeigen unter anderem, wie großzügig man gegenüber anderen ist. Also, wie wichtig uns die Belohnung und das Glück der anderen ist und ob dies für uns selber einen Wert hat. Bei den Anstrengungspräferenzen geht es etwa darum, wie viel körperliche oder geistige Arbeit ich bereit bin, für eine bestimmte Belohnung aufzuwenden.

Warum ist es wichtig, dass Ihre Forschung ­interdisziplinär ist?

Die Interdisziplinarität der Neuroökonomie hat unsere Forschung erst ermöglicht. Wir arbeiten in interdisziplinären Teams und kombinieren Modelle und Paradigmen aus der Psychologie und Ökonomie mit Methoden aus der Medizin und den Neurowissenschaften. So können wir mit einem MRT Gehirnaktivitäten messen, während jemand Entscheidungen trifft. Zudem können wir auch untersuchen, welche Regionen des Gehirns kausal verantwortlich sind für ein bestimmtes Verhalten.

Welche Erkenntnisse aus Ihren Forschungsprojekten haben Sie überrascht?

Dass die meisten Menschen glücklicher werden, wenn sie ihr eigenes Geld für andere als für sich selber ausgeben. Auch die Befragten hat dies überrascht. Wir hatten unsere Probanden dazu verpflichtet, Geld für andere oder für sich selber auszugeben. Was überraschte, war, dass schon allein die Verpflichtung, Geld für andere auszugeben, dazu führte, dass sie glücklicher wurden, im Vergleich zu denen, die sich verpflichteten, Geld für sich selber auszugeben. Von diesem Effekt profitieren Initiativen wie „The Giving Pledge“ von Bill Gates und Warren Buffett. Hier verpflichten sich Reiche dazu, einen Teil ihres Vermögens für das Gemeinwohl auszugeben. Die Spender sind nicht nur glücklich über ihre Entscheidung, sondern sagen auch, dass es sie glücklich macht, darüber nachzudenken und konkret zu sehen, wie viel Gutes sie mit ihren Spenden erreichen können. Überrascht haben uns zudem unsere Forschungsergebnisse zur Empathie. Normalerweise sind Menschen empathischer gegenüber Leuten, die aus der eigenen Gruppe stammen, als gegenüber Fremden. Folglich erwartet man, dass Mitglieder einer anderen Gruppe nicht besonders nett zu einem selber sind. Überraschenderweise braucht es aber nur wenige positive Erfahrungen mit Fremden, um dies zu ändern. Wir haben insbesondere gezeigt, dass solche Erfahrungen dazu führen können, Empathie für eine andere, fremde Gruppe zu erhöhen.

Was bedeuten Ihre Forschungsergebnisse letztendlich für unsere Gesellschaft?

Zu den Empathiebefunden ein Beispiel: In der Schweiz, aber auch in Deutschland arbeiten häufig in den Krankenhäusern Menschen aus anderen Ländern. Wenn wir von ihnen Hilfe erfahren, könnte das dazu führen, feindliche Einstellungen gegenüber Fremden zu überwinden. Bei unserem Projekt waren lediglich fünf helfende Erfahrungen durch Personen aus der einen Gruppe nötig, damit die Empathie in der anderen Gruppe anstieg. Ein kleines bisschen Großzügigkeit kann schon viel bewirken, nicht nur beim Empfänger, sondern auch beim Geber. Wenn man das weiterdenkt, könnte man die Hypothese aufstellen, dass Großzügigkeit auch die ganze Gesellschaft glücklicher macht. Aber das ist reine Spekulation.

Sie untersuchen den Einfluss von Testosteron und Dopamin auf aggressives Verhalten, selbstsüchtige wirtschaftliche Entscheidungsfindungen, großzügiges Verhalten und Belohnung. Warum?

Das Dopamin wirkt als Botenstoff zwischen den Nervenzellen und Testosteron wird als Hormon im Blut ausgeschüttet. Beides sind Moleküle und bei beiden geht es um die gleiche Fragestellung: Wie genau implementiert das Gehirn Motivationen oder wertgeleitete Entscheidungen? Welche Hirnareale und welche Moleküle sind an diesen Entscheidungen beteiligt? Die beiden Moleküle sind Beispiele der chemischen Informationsübertragung im Gehirn. Wenn sie an den Rezeptoren von Nervenzellen andocken, kann es zu einer Veränderung der Gehirnaktivität führen und dadurch auch zu einer Veränderung des Verhaltens.

Gibt es hier geschlechtsspezifische Unterschiede?

In einer Studie haben wir gefunden, dass Männer weniger großzügig sind als Frauen. Bei Männern haben wir auch gesehen, dass Testosteron sie selbstsüchtiger macht. Dementsprechend zeigten unsere Untersuchungen im MRT, dass das Testosteron die Aktivität in der „Großzügigkeitsregion des Gehirns“ vermindert. Dopamin hingegen ist ein wichtiger Botenstoff für das Lernen. Das Dopaminsystem ist bei Frauen besonders aktiv bei sozialer Belohnung. Dies kann man mit der Lerntheorie erklären. Wenn wir 1 Euro erwarten und stattdessen 5 Euro erhalten, gibt es einen Fehler in der Vorhersage, den wir beim nächsten Mal verringern möchten. Beim nächsten Mal erwarten wir somit nicht mehr 1 Euro, sondern vielleicht 1,50 Euro. Wir passen also unsere Vorhersagen langsam an, bis diese den tatsächlichen Ergebnissen entsprechen. Diese Art zu Lernen wird im Gehirn durch Dopamin-Zellen umgesetzt. Mit anderen Worten: Dopamin-Zellen feuern mehr, wenn wir eine Belohnung bekommen, die größer ist als erwartet. Sie feuern weniger, wenn wir mit Geringerem belohnt werden als erwartet. Dass Frauen bei den Experimenten großzügiger waren als Männer, könnte damit zusammenhängen, dass Frauen stärker als Männer gelernt haben, dass Großzügigkeit belohnt wird und sie glücklich macht. Wir konnten zeigen, dass eine Verhinderung der Dopaminaktivität Frauen weniger großzügig macht.

Warum macht Großzügigkeit glücklich?

Wenn man jemand anderem eine Freude bereitet oder sich das Glück des anderen vorstellt, dann macht das denjenigen, der „schenkt“, auch glücklich. Allein dieses Sich-hinein-Versetzen in den anderen; sich zu überlegen, was ihm Freude machen würde, und sich daran zu erinnern, was ihm in der Vergangenheit Freude bereitete – das alles macht glücklich.

Liegt das daran, dass wir soziale Wesen sind?

Warum die Freude und das Leid des anderen uns wichtig sind, hat etwas mit dem Sozialsein zu tun – sprich, dass wir in einer sozialen Gemeinschaft leben, dass andere uns nahe und wichtig sind und damit auch ihre Freude.

Was möchten Sie mit Ihrer Forschung erreichen?

Es wäre ein schönes Ziel, wenn es möglich wäre, Krankheiten wie Apathie behandeln zu können. Wenn man den Menschen etwas auf den Weg geben könnte, um aus diesem Zustand des Sich-nicht-Anstrengen-Wollens, Sich-nicht-freuen-Könnens herauszukommen. Ein Schlüssel dazu sind unsere Untersuchungen über den Einsatz von Dopamin.

Und mit welcher Forschungsfrage würden Sie sich gerne in nächster Zukunft beschäftigen?

Ich denke darüber nach, ob man das Neurofeedback, also eine Methode, mit der man die eigenen Hirnaktivitäten verändern kann, einsetzen kann, um glücklicher zu werden. Das wäre im Prinzip eine Alternative zur Meditation. Ich habe so viele Ideen in diese Richtung entwickelt, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich genug Jahre in meinem Berufsleben habe, um diese umzusetzen. //

Philippe Tobler

Prof. Dr. Philippe Tobler hat eine Professur für Neuroökonomie und Soziale Neurowissenschaften am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich inne.

Foto: privat​

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