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Wie Mentoring wirkt

Nina Steinweg und Hannah Meyer über die Qualität von Mentoring-Programmen und die verschiedenen Modelle zur Messung ihrer Wirkung

Seit den Ursprüngen von Mentoring in der griechischen Mythologie hat sich das Konzept Mentoring weiterentwickelt und in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen erfolgreich etabliert. In der Wissenschaft ist es als zentrales Instrument der geschlechtergerechten Personalentwicklung und Nachwuchsförderung seit Jahrzehnten verankert. Im Forum Mentoring e.V. sind bundesweit mehr als 100 Mentoring-Programme von Hochschulen und Wissenschaftsinstitutionen vernetzt. Das Forum Mentoring bildet seit 2006 eine Plattform für Wissenstransfer, Austausch und Kooperation rund um das Thema Mentoring in der Wissenschaft (siehe Infobox weiter unten).

Mentoring in der Wissenschaft besteht häufig aus einer Kombination von drei Säulen: dem Tandem zwischen Mentee (Schülerin, Studentin, Promovendin, Postdoc, Juniorprofessorin) und Mentor oder Mentorin (erfahrungsältere Person), einem Qualifizierungsangebot für die Mentees und der Vernetzung zwischen den Mentees. Eine Ausdifferenzierung findet auch auf der Ebene der Fächergruppen und in Bezug auf ein diversitätssensibles Mentoring statt.

Ziele von Mentoring

Die mit der Etablierung von Mentoring-Programmen verfolgten Gleichstellungsziele haben sich in den letzten 30 Jahren stetig verändert und weiterentwickelt. Der ursprünglich vorherrschende Defizitansatz („fix the women“) ist lange überholt. Als Instrument akademischer Personalentwicklung und Nachwuchsförderung zielt Mentoring sowohl auf den individuellen Kompetenz- und Wissensgewinn ab als auch auf die professionelle Qualifikation qualifizierter Schülerinnen, Studentinnen und Wissenschaftlerinnen.

Die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftssystem sowie gesellschaftlich verankerte Rollenstereotype und hierarchische Geschlechterverhältnisse führen nach wie vor zu Ausschlüssen und Karrierehemmnissen. Das betrifft zum Beispiel den Zugang zu Netzwerken, die Sichtbarkeit und Anerkennung in der wissenschaftlichen Community, das Selbstbewusstsein über die wissenschaftlichen Leistungen, die Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Selbst wenn in einigen Bereichen eine verbale Aufgeschlossenheit besteht („rhetorische Modernisierung“, vgl. Wetterer) bestehen feine und subtile Ausgrenzungs- und Abwertungsstrategien weiter fort. Mentoring-Programme können hier ganzheitlich und komplex entgegenwirken. Hierfür sind die Vermittlung von informellem Wissen und die Reflexion der wissenschaftlichen Karriere durch die Mentorinnen und Mentoren zentrale Bausteine. Der Erwerb von fachlichen und Soft-Skill-Kompetenzen führen zum einen dazu, dass die Mentees die Anforderungen an eine wissenschaftliche Weiterqualifizierung besser einschätzen und bewältigen können. Zum anderen stärken die Coaching- und Fortbildungsangebote im Zusammenspiel mit der Vernetzung der Mentees untereinander die realistische Einschätzung der eigenen Leistungen und das Erkennen von geschlechterspezifischen Diskriminierungen und Hürden sowie deren Überwindung. Eine Mentee in einem Programm für Doktorandinnen der Hochschule Coburg sagt hier beispielsweise: „Ich habe mich gut aufgehoben gefühlt, weil ich an meiner Universität nicht wirklich eingebunden bin und dennoch das Gefühl bekommen habe, einen Platz zu haben.“

Mentoring wird häufig als reine Frauenfördermaßnahme wahrgenommen. Aufgrund seiner komplexen Struktur und vielfältigen Wirkungen ist dies zu kurz gegriffen. Mentoring kann strukturelle Benachteiligungen gegenüber Studentinnen und Wissenschaftlerinnen ausgleichen, aber es hat auch das Potenzial, Mentorinnen und Mentoren zu sensibilisieren und als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu aktivieren, um langfristige Kulturveränderungen zu bewirken. Leenders, Bleijenbergh und Van den Brink haben hierzu auf der Basis einer Fallstudie Ansatzpunkte und Empfehlungen entwickelt. Häufig wird der Erfolg von Mentoring auch mit dem Ziel verbunden, den Frauenanteil auf allen Stufen zu erhöhen. Angesichts von Hausberufungsverbot, prekären Beschäftigungsverhältnissen, mangelnder Vereinbarkeit von Familie und Studium/Beruf scheint es allerdings schwierig, hier eine unmittelbare Wirkung nachzuweisen.

Qualitätssicherung und Wirkungsmessung

Die Qualitätssicherung von Mentoring-Programmen ist schon immer inhärenter Bestandteil der Programmkonzeption gewesen. Seit 2008 gibt es Standards, die unter anderem vom Forum Mentoring entwickelt wurden. Diese Standards enthalten auch Vorgaben zum Qualitätsmanagement, insbesondere zur Programmdokumentation und zur Durchführung von Evaluationen zu Mentoring-Programmen für MINT-Studentinnen. Zuletzt veröffentlichten Elke Wolf und Stefanie Brenning im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts ein Handbuch zur Evaluation von Mentoring-Programmen für MINT-Studentinnen.Mentoring-Koordinatorinnen und -Koordinatoren hatten immer schon ein Interesse daran, Wirkungen zu ermitteln und die Programme qualitätsorientiert weiterzuentwickeln. Im Zuge der Ökonomisierung der Wissenschaft stehen Programmverantwortliche außerdem vermehrt unter Druck, die Wirksamkeit von Mentoring-Programmen in Bezug auf Kernziele der Hochschulen zu belegen. Was bedeutet Wirkung in diesem Kontext? Wirkung bezeichnet Veränderungen bei der Zielgruppe, der Organisation oder auch in der Gesellschaft, die dem Mentoring-Programm zugeordnet werden kann. Hierbei wird zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Wirkungen unterschieden sowie zwischen Veränderungen auf der Mikro- und Mesoebene. Auf der Mikroebene werden Veränderungen bei den beteiligten Individuen gemessen, wie beispielsweise eine Erhöhung des Selbstvertrauens der Mentees oder ein Zuwachs an (in)formellem Wissen über die Anforderungen und Spielregeln des Wissenschaftssystems. Auf der Mesoebene stehen etwa Veränderungen in der Organisation im Fokus, wie benachteiligende/ diskriminierende Hochschulstrukturen.

Grundsätzlich lassen sich Veränderungen bei den unmittelbaren Beteiligten leichter messen als langfristige Effekte auf der Organisationsebene. Die persönliche Qualifizierung und Weiterentwicklung der Mentees wird überwiegend konstatiert. In einer aktuellen Evaluation der Hochschule Coburg heißt es beispielsweise: „Ich habe den Mut nicht verloren, weiter an meiner Promotion zu arbeiten. Das Programm hat mir geholfen, meine Strategie zu festigen.“

Mehrere Metaanalysen in Vergleichsstudien untersuchen, wie unterschiedlich Evaluationen solche Effekte messen. Zwar wird häufig die Zufriedenheit mit den jeweiligen Mentoring-Programmen abgefragt. Es werden jedoch nur selten Untersuchungen durchgeführt, die Kontrollgruppen und Verbleibstudien nutzen, um langfristige Wirkungen zu messen. Auch laut einer übergreifenden Untersuchung von Astrid Franzke beziehen die untersuchten Evaluationen kaum auf die Organisationsebene, sondern fokussieren auf die Effekte der unmittelbar Beteiligten. Beispielhaft für eine Perspektive, die sowohl die Mentorinnen und Mentoren als auch die Mentees in eine organisatorische Veränderungsagenda mit einbindet, ist der bifokale Ansatz von Jennifer de Vries. Hier liegt ein fast gleichzeitiger Fokus auf der Mesoebene der Organisation und der Mikroebene von Veränderungen bei den Mentees. De Vries entwickelt ein Modell, welches zwischen verschiedenen Mentoring-Ansätzen und ihrem potenziellen Beitrag zu organisatorischen Veränderungen unterscheidet.

Es zeigt sich, dass die Messung der Wirkung von Mentoring-Programmen eine Herausforderung darstellt. Zum einen sowohl in Hinblick auf die Ziele der Maßnahme als auch auf Kontextfaktoren und Rahmenbedingungen. Evaluierende greifen daher verstärkt auf Wirkungsmodellierungen zurück, um die vielfältigen und komplexen Einflussfaktoren strukturieren und analysieren zu können. Sie ermöglichen es, die Zielsetzungen des Mentoring-Angebots zu überprüfen und Indikatoren festzulegen. Hierfür werden unterschiedliche Wirkungsmodelle genutzt, wie Logic Models oder Theory of Change.

Beispielhaft für den Einsatz eines solchen Modells soll hier die Metaanalyse von Wolf und Brenning aus dem Jahr 2019 genannt werden. Sie analysieren Evaluationen unter anderem von Mentoring-Projekten im MINT-Bereich und bauen hierbei auf der Logic-Chart-Analyse von Andrea Löther und Jana Girlich auf. Sie ordnen typische Fragen zur Datenerhebung einzelnen Indikatoren ihres weiterentwickelten Modells zu. Dabei konnten sie in Evaluationen nur wenige Frage-Items zu langfristigen Effekten identifizieren. Auch das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) verfolgt einen ähnlichen Ansatz bei der Evaluation des ARIADNETechNat-Mentorings der Technischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg auf der Basis der Theory of Change. Dieses Modell nimmt die Komplexität der Maßnahme in den Blick und ermöglicht so, Kontextfaktoren miteinzubeziehen. So kann insbesondere die Einbettung des Mentorings in Nachwuchsförderung und Gleichstellung der Technischen Fakultät analysiert werden.

Mentoring ist zu Recht ein etabliertes und differenziertes Angebot, welches den Mentees einen strukturierten Raum für Reflexion, Orientierung und Empowerment gibt. In einem Wissenschaftssystem, das geprägt ist von Geschlechterungleichheiten, prekären Beschäftigungsverhältnissen, Leistungsdruck und Konkurrenzdenken, stellt die strukturiere Karriereplanung eine wesentliche Herausforderung dar. Die Ansätze zur Wirkung von Mentoring auf die Organisation sollten weiter ausgebaut werden. Hierfür ist es wichtig, bereits im Zuge der Programmkonzeption Qualitätssicherungsmaßnahmen mit zu bedenken und hinreichende Ressourcen einzuplanen. //

Forum Mentoring

Das Forum Mentoring e.V. trägt seit 2006 als bundesdeutsche Berufsvertretung für Mentoring in der Wissenschaft mit seinen Qualitätsstandards erheblich zur Qualitätssicherung der Mentoring-Programme bei. In der Arbeitsgemeinschaft Evaluation & Forschung werden die Evaluationsziele und -inhalte sowie Möglichkeiten zur Wirkungsmessung von Mentoring-Maßnahmen fortgeschrieben. Wichtige Impulse für die Arbeit im Mentoring wie die Implementierung eines Programms, das Qualitätsmanagement und die Weiterentwicklung der circa 135 Mitgliedsprogramme an 78 Standorten kommen aus der Netzwerk- und Fortbildungsarbeit des Vereins. Ziel ist, die Chancengerechtigkeit der Geschlechter in Wissenschaft und Forschung, besonders von Frauen, durch das effektive Personalentwicklungsinstrument Mentoring zu fördern.
www.forum-mentoring.de

Literatur

Forum Mentoring e.V. (2014): Mentoring mit Qualität. Qualitätsstandards im Mentoring in der Wissenschaft. 5. Auflage. https://forum-mentoring.de/wp-content/uploads/2020/07/BroschuereForumMentoringeV_2014-09-162.pdf (02.06.2021)
Fountain, J.; Newcomer, K.E. (2018): Developing and Sustaining Effective Faculty Mentoring Programs. In: Journal of Public Affairs Education 22 (4), S. 483–506. DOI: 10.1080/15236803.2016.12002262
Franzke, A. (2017): Evaluation von Mentoring als reflexive Praxis. Zwischen Messbarkeitsproblemen, Legitimation und organisationalen Lernprozessen. In: R. Petersen, M. Budde, P.S. Brocke, G. Doebert, H. Rudack, H. Wolf (Hrsg.): Praxishandbuch Mentoring in der Wissenschaft. Wiesbaden, S. 209–224
Girlich, Jana; Löther, Andrea (2010): Frauen in den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengängen. Überprüfung der BLK-Empfehlungen von 2002. Abschlussbericht. Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS), Bonn
Gruhlich, J.; Riegraf, B. (2016): Solidarität und Macht in Organisationen – die Stärke formeller und informeller Netzwerke in der Wissenschaft. In: U.C. Schmidt, B. Kortendiek (Hrsg.): Netzwerke im Schnittfeld von Organisation, Wissen und Geschlecht. Essen, S. 80–90
Leenders, J.; Bleijenbergh, I.L.; Van den Brink, M.C.L. (2019): Myriad potential for mentoring: Understanding the process of transformational change through a gender equality intervention. In: Gender, Work & Organization 27 (3), S. 379–394
Romahn, A. (2017): Mentoring – traditionsreicher Begriff und bewährtes Konzept. In: R. Petersen, M. Budde, P. Brocke, G. Doebert, H. Rudack, H. Wolf (Hrsg.): Praxishandbuch Mentoring in der Wissenschaft. Wiesbaden, S. 7–16
Vries, J. de (2011): Rethinking mentoring: Pursuing an organisational gender change agenda. In: H. Füger, M. Besson (Hrsg.): Mentoring for change. A focus on mentors and their role in advancing gender equality. Fribourg, S. 1225
Wetterer, A. (2003): Gender Mainstreaming & Managing Diversity. Rhetorische Modernisierung oder Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik. In: Die Hochschule: Journal für Wissenschaft und Bildung 2003 (1). http://www.hof.uni-halle.de/journal/texte/03_2/Wetterer_Gender_Mainstreaming.pdf
Wolf, E.; Brenning, S. (2019): What works? Meta-Evaluation von Evaluationen von MINT-Projekten für Schülerinnen und Studentinnen. Erste Ergebnisse aus Teilvorhaben B „Evaluationsforschung“. Online unter: https://www.oth-regensburg.de/fileadmin/media/fakultaeten/s/forschung_projekte/mint/MINT-Strategien_4_0_Meta-Evaluation_EW_SB.pdf
Wolf, E; Brenning, S. (2021): Wirkung messen. Handbuch zur Evaluation von Mentoring-Programmen für MINT-Studentinnen. Hg. v. BMBF-Verbundvorhaben „MINT-Strategien 4.0 – Strategien zur Gewinnung von Frauen für MINT-Studiengänge an Hochschulen für angewandte Wissenschaften“ der OTH Regensburg und der Hochschule München. https://www.oth-regensburg.de/fileadmin/media/fakultaeten/s/forschung_projekte/mint/WolfBrenning_2021_Handbuch_Mentoring.pdf

Nina Steinweg

Dr. Nina Steinweg ist Senior Researcher im Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) bei GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und leitet das vom Bundesforschungsministerium finanzierte Projekt „Standards, Richtlinien und Qualitätssicherung für Maßnahmen zur Verwirklichung der Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft“ (StaRQ) sowie eine Evaluation an der Uni Erlangen-Nürnberg.

Foto: Privat

Hannah Meyer

Hannah Meyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in beiden oben genannten Projekten.

Foto: Privat

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