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„In der Gruppe lügt man eher“

Die einen stößt es ab, die anderen zieht es magisch an: unehrlich Geld zu verdienen. Warum das so ist, ist Inhalt einer experimentellen Studie am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. Mitautor Sven Arne Simon erläutert einige der Ergebnisse

Macht Gelegenheit Diebe? Warum ist diese Fragestellung für Ihre Forschung relevant?

Unehrliches Verhalten wie Steuerhinterziehung und Wirtschaftsbetrug sind für uns zentrale Themen, da diese gravierende Auswirkungen auf eine Volkswirtschaft oder die Finanzierung des Staates haben. Dabei geht es uns nicht nur um spektakuläre Ereignisse wie den Wirecard- oder den Volkswagen-Abgasskandal, sondern auch um kleinere Delikte wie das Fahren ohne Ticket im öffentlichen Nahverkehr. Die Methodik der Experimentalökonomie ist besonders hilfreich, wenn es darum geht, die individuelle Motivation von ehrlichem oder unehrlichem Verhalten zu analysieren. Wir wollten mit unseren Studien erfahren: Wie wägen einzelne Individuen ihre Entscheidung ab, welche Situationen und Einflussfaktoren beeinflussen diese und sind die einzelnen Handlungsmotive klar voneinander zu trennen? Eine der großen Stärken der Experimentalökonomie ist, dass sich kausale Effekte klar isolieren lassen. Dadurch können wir bestimmen, welche Faktoren zu welchen Verhaltensänderungen führen und Rückschlüsse auf die einzelnen Motive ziehen.

Wie sind Sie ganz praktisch betrachtet vorgegangen?

In einer Studie haben wir zum Beispiel die Teilnehmer unter Zeitdruck gesetzt, damit sie schnell die Compliance-Entscheidung treffen: Will ich ehrlich sein oder bin ich unehrlich, um einen finanziellen Gewinn einzustreichen? Die Ergebnisse haben wir mit einer Situation verglichen, bei der Teilnehmer genügend Zeit hatten, über ihre Entscheidung nachzudenken. Dabei stellte sich heraus: Teilnehmer verhalten sich unter Zeitdruck ehrlicher. Das liegt hauptsächlich daran, dass vielen die Option, lügen zu können, intuitiv nicht klar ist, denn ein solcher Erkenntnisprozess braucht offenbar Zeit.

Bedeutet dies schlicht gesagt, ehrlich zu sein ist einfach, unehrlich zu sein hingegen kompliziert und komplex?

Eine unehrliche Angabe zu machen, verlangt mehrere Schritte. Zunächst muss man überhaupt auf die Idee kommen, dass man lügen könnte, und dann eine Abwägung treffen: Was sind die Vorteile, wenn ich unehrlich bin, was könnten die Nachteile sein und wie entscheide ich mich? Und ein weiterer wichtiger Schritt: Man muss die unehrliche Angabe glaubwürdig machen und darf bloß nicht vergessen, dass man dies getan hat. Denn man muss damit rechnen, dass man später noch einmal danach gefragt wird.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrer Studie?

Dass es mehr oder weniger zwei Typen von Menschen gibt: Die einen haben relativ niedrige psychologische Lügenkosten. Das sind auch diejenigen, die sich ganz gezielt in Situationen begeben, in denen sie unehrlich sein können. Und da sie keine Abneigung gegen Unehrlichkeit haben, machen sie sehr stark Gebrauch davon und ziehen auch finanzielle Vorteile daraus. Demgegenüber stehen Menschen, die hohe Hemmungen haben, für finanzielle Vorteile zu lügen, und gezielt Situationen auswählen, in denen sie ehrlich Gewinne erzielen können. In diesem Verhalten sind sie meist konsistent und entscheiden sich eher selten für finanzielle Vorteile, wenn sie dafür unehrlich sein müssen. Zudem zeigt unsere Studie, dass nicht nur die Gelegenheit Menschen zu Dieben macht, sondern Diebe auch ganz gezielt die Gelegenheit suchen. Das heißt: Menschen mit niedrigen psychologischen Lügenkosten suchen sich bewusst Situationen aus, in denen sie mit unehrlichem Verhalten Vorteile erzielen können.

Was lässt sie zögern oder hält sie ggf. davon ab?

Faktoren, um unehrliches Verhalten zu verhindern, sind die Überprüfungswahrscheinlichkeit und mögliche Strafen. Es gibt aber auch die psychologischen Kosten des Lügens. Das sind intrinsische Lügenkosten, bei denen sich Menschen aus moralischen Gründen persönlich unwohl fühlen. Eine Rolle spielt auch das Selbstbild, nach dem man sich als integrer Mensch korrekt verhält. Hinzu kommen Normvorstellungen, was eine Gesellschaft als „das“ angemessene Verhalten definiert. Wer dagegen verstößt, muss mit sozialen Sanktionen rechnen – mit möglichen negativen Folgen für Freundschaften und das Familienleben.

Ihre Studie zeigt, dass die Hälfte aller Befragten durchaus in der Lage ist, nicht aufrichtig zu sein, wenn es darum geht, sich Vorteile zu verschaffen. Warum?

Die Hälfte aller Teilnehmer war ehrlich und hat überhaupt nicht in Betracht gezogen, zu lügen. Wiederum 30 Prozent der Befragten hatten überhaupt kein Problem damit zu lügen und 20 Prozent hatten zwar eine Präferenz dafür, ehrlich zu sein, nahmen aber dennoch eine sich bietende Gelegenheit zum Betrügen wahr. Das impliziert: Eine Verdoppelung der Verdienstmöglichkeit führt nicht zu einer Verdopplung der Lügenrate, sondern nur zu einem geringen Anstieg.

Kommt unehrliches Verhalten denn in allen sozialen Schichten vor?

Sozioökonomische Faktoren spielen hier eine Rolle. So verhalten sich Frauen und Ältere tendenziell ehrlicher als Männer und Jüngere. Studien aus Israel zeigen auch, dass religiöse Menschen sich ehrlicher verhalten als säkular eingestellte Menschen. Und Untersuchungen mit Eltern-Kind-Paaren zeigen, dass Eltern besonders dann viel lügen, wenn das Kind von der Lüge profitiert und nicht anwesend ist. Das passiert aber auch, wenn eine fremde Person von dieser Lüge profitieren würde. Umgekehrt gilt das ebenfalls: Wenn jemandem direkt geschadet wird, lügen die Leute weniger.

Gibt es Faktoren, die zu mehr Ehrlichkeit führen?

Feldstudien aus Belgien und Tschechien über Steuer- und Gebührenhinterziehung zeigen, dass zwei Faktoren mehr Ehrlichkeit erzeugen: Zum einen sind das die klassischen Strafandrohungen und zum anderen ist es die Kommunikation in leicht zugänglicher Sprache. Verfassen zum Beispiel Rundfunkanstalten oder Steuerbehörden ihre Schreiben gut verständlich, dann ist die Compliance – sprich: die Bereitschaft, die Regeln einzuhalten–, wesentlich höher als bei einer komplizierten, sehr technischen Sprache.

International agierende Unternehmen nutzen Steuerschlupflöcher, um sich erfolgreich am Markt zu behaupten. Das ist legal, aber ist das nicht auch unehrlich?

Interessant ist hier die Frage: Wie halten es Teams oder Gruppen mit unehrlichen Entscheidungen? Denn in Unternehmen sind es häufig nicht nur Einzelpersonen, die entscheiden, sondern auch Gruppen. Die Governance-Struktur innerhalb der Gruppe ist entscheidend und die Frage, ob die potenziellen Gewinne aus der unehrlichen Entscheidung und die potenziellen Strafen innerhalb der Gruppe geteilt werden. Unsere Studien zeigen: Individuen sind ehrlicher als Gruppen. Aber: Wenn jedes Mitglied der Gruppe die jeweilige Strafe voll selbst tragen muss, wird nicht viel unehrlicher entschieden als bei Einzelentscheidungen. Wenn aber die Gewinne und Verluste in der Gruppe geteilt werden, dann verhalten sich alle tendenziell unehrlicher.

Könnte man sagen, dass Entscheidungen in der ­Gruppe die Mitglieder korrupter machen?

Ja, mehrere Studien kommen zu genau diesem Ergebnis. Eine Studie führt das zum Beispiel darauf zurück, dass die Mitglieder untereinander Argumente austauschen, um ihr unehrliches Verhalten zu rechtfertigen. Gleichzeitig führt das zu einer Verschiebung der sozialen Norm und unehrliches Verhalten wird als weniger verwerflich angesehen. Allerdings zeigen unsere Ergebnisse eben auch, dass bei Haftung auf individueller Ebene die Gruppenentscheidung nicht zu mehr Unehrlichkeit führen muss.

Sie sagen, dass unehrliche Menschen eher dazu neigen, Berufe zu wählen, die ihnen Möglichkeiten zum Betrügen eröffnen. Ist in diesen Berufen solch eine „Kompetenz“ gefragt, ja vielleicht sogar notwendig?

In nicht wenigen Ländern werden zum Beispiel Politiker, Versicherungsvertreter oder Lobbyisten als weniger vertrauenswürdig wahrgenommen als Feuerwehrmänner. Wenn man nach den Gründen sucht, findet man bei Lobbyisten etwa das Argument, dass für ihre Arbeit manchmal eine gewisse moralische Flexibilität notwendig ist. Zum Beispiel, wenn es darum geht, für die Tabakindustrie Gesundheitsrisiken oder für bestimmte Industrieunternehmen den Klimawandel zu verneinen, Informationen falsch darzustellen und wissenschaftliche Erkenntnisse gezielt in Zweifel zu ziehen. Ob das, strikt ausgelegt, unehrliches Verhalten ist, darüber kann man sich natürlich streiten. //

Dr. Sven Arne Simon

Dr. Sven Arne Simon ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München. Der Experte für Experimentalökonomie und Compliance hat an der Studie „Die Selbstselektion in (un)ehrliche Verdienstmöglichkeiten“ mitgewirkt – einem gemeinsamen Projekt von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.

Foto: Hendrik Schneider / Schmendrax​

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