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Diskurslust: Zeitenwende?

In Russland, China oder anderen autoritären Staaten nehmen die Probleme und Gefahren zu, auch in der Wissenschaft. Ob Hochschulen ausreichend vorbereitet sind, diskutiert Peter-André Alt mit Susanne Weigelin-Schwiedrzik

Susanne Weigelin-Schwiedrzik Der Ausbruch eines Angriffskrieges im Herzen Europas macht deutlich, daß Globalisierung – auch der Wissenschaft – ohne geopolitische Perspektive nicht mehr funktionieren kann. Doch wir sind ungeübt darin, die politischen Implikationen unserer Forschung zu durchdenken – insbesondere wenn es darum geht, die geopolitischen Implikationen unserer internationalen Projekte zu überprüfen. Wer immer Forschung und Lehre professionell betreibt und wer immer Institutionen der Forschung und Lehre administriert, muss dies in dem Bewußtsein tun, daß die politischen Implikationen unseres Tuns mitzubedenken sind. 

Anstelle jedoch den Staat in die Hochschulen zu rufen, sollten die Institutionen von Forschung und Lehre in Selbstverwaltung handeln und die Hochschulöffentlichkeit in die Selbstreflexion über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik einbeziehen. Zugleich sollte stärker als bisher eine inneruniversitäre Rechenschaftspflicht im Zusammenhang aller internationalen Projekte wahrgenommen werden. Nicht nur die autoritären Staaten konkurrieren mit uns um wissenschaftliche Erkenntnisse und die dazu gehörigen Forscherinnen und Forscher; auch Staaten, die wir als befreundet betrachten, freuen sich, wenn sie Forschungsergebnisse mit möglichst geringem finanziellem Aufwand reklamieren können. So wie Forschungsprojekte, die mit der Privatwirtschaft unternommen werden, stets einer Überprüfung durch das Rektorat unterzogen werden, sollten in Zukunft alle internationalen Projekte einen inneruniversitären Prüfungs- und Genehmigungsprozess durchlaufen, der ausdrücklich die geopolitischen Implikationen der Projekte berücksichtigt.

Peter-André Alt Auch wenn die Hochschulen aufgrund der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen ihr Vertrauen in die konfliktlösende Wirkung wissenschaftlicher Kooperationen verloren haben, ist das Konzept der Science Diplomacy nicht falsch oder überholt. Empfehlungen für die Ausgestaltung von Verträgen, wie sie die HRK veröffentlicht hat, helfen gegen Missbrauch durch militärische Nutzung von Forschungsergebnissen, Datendiebstahl, Verstoß gegen das Recht auf Publikationsfreiheit und geistiges Eigentum. Sie definieren zugleich rote Linien und verhindern Naivität im Umgang mit Risiken. 

Regelhafte Prüfvorgänge durch Hochschulleitungen sind aus meiner Sicht bei internationalen Verträgen selbstverständlich, sofern sie Rechtsfragen betreffen. Sie sollten aber keinesfalls in die wissenschaftlichen Kernbereiche von Kooperationen eingreifen. Besser als strenge Restriktionen sind Anlaufstellen innerhalb der Hochschulen, die fachliche Expertise über Partnerregionen vermitteln. Chinakompetenz oder Kenntnisse über arabische Partnerländer tragen dazu bei, dass Differenzen zwischen Wissenschaftssystemen bewusst werden. Wandel durch Kooperation dürfte es aufgrund wissenschaftlicher Kooperation nur selten geben. Aber der Verzicht auf internationale Zusammenarbeit ist keine Alternative, denn es geht hier auch um die junge Generation, die durch akademische Austauschprogramme neue Erfahrungen sammeln kann.

Susanne Weigelin-Schwiedrzik Wenn die bisherigen Mechanismen der Science Diplomacy ausreichten, stünden wir nicht vor dem Problem, bei plötzlicher Veränderung der Lage weitgehende Maßnahmen wie den Abbruch wissenschaftlicher Kooperationen ergreifen zu müssen. Der Abbruch der Kooperationsbeziehungen mit Russland hat das nur allzu deutlich gezeigt. Die juristische Prüfung der Verträge hat hier offenbar nicht ausgereicht und wurde durch Entscheidungen ersetzt, welche unter dem Druck der Ereignisse eine differenzierte Prüfung der jeweiligen Kooperation vermissen ließen. 

Nicht jede Hochschule verfügt über die entsprechende Kompetenz, im Einzelnen die Lage in den betroffenen Ländern in die Entscheidung einzubeziehen. Nicht jede Sinologie ist auf die Analyse der gegenwärtigen Situation in China spezialisiert, und eine Slavistik, die sich hauptsächlich mit ­Literatur- und Sprachwissenschaft beschäftigt, verfügt über keine politikwissenschaftliche Kompetenz bei der Analyse politischer, insbesondere geopolitischer, Konstellationen. Und selbst wenn die entsprechende Kompetenz in der Hochschule abgerufen werden kann, gibt es immer mehr als eine Einschätzung zu politischen Fragen, weshalb die jeweiligen Entscheidungsträger nicht darum herumkommen, verschiedene Expertenmeinungen gegen einander abzuwägen. Grundlage für einen solchen Prozess der Abwägung ist nicht die Entpolitisierung von Wissenschaft, sondern eine Haltung, die sich der Herausforderung des komplizierten Verhältnisses von Wissenschaft und Politik stellt.

Peter-André Alt Für die erfolgreiche Ausgestaltung internationaler Beziehungen im Hochschulbereich bedarf es einer genau festgelegten Prozesslogik auf der Grundlage abgestimmter interner Zuständigkeiten. Die Inhalte und Ziele der Kooperation zu definieren, bleibt Sache der Wissenschaft. Für die Klärung der Prämissen und Rahmenbedingungen, die vor dem Beginn der Vertragsverhandlungen erfolgen muss, sind die Internationale Abteilung und das Rechtsamt verantwortlich. Sinnvoll ist der Aufbau einer Austauschplattform, die es erlaubt, akademische Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnerländern zu teilen. 

Im Vorfeld der Verhandlungen sollten Grundfragen akademischer Werte, prinzipielle Aspekte von Datenschutz, Publikationsfreiheit, geistigem Eigentum und Forschungszwecken erörtert werden. Dabei darf es keine Tabus geben – gerade Themen, bei denen Dissens droht, gehören auf den Tisch. Neben den Kernzielen eines Kooperationsabkommens müssen Gesichtspunkte der Projekt-Governance offen besprochen werden. Zu einem guten Vertrag gehören auch klare Strategien im Konfliktfall: Indikatoren und Verfahren für die Überprüfung von Regelverstößen, Szenarien des Ausstiegs, Klärung etwaiger finanzieller Konsequenzen. Wenn die internationale Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet solchen Prozessvorgaben und Regelkritierien folgt, bewegt sie sich auf jenem sicheren Grund, der es erlaubt, das Konzept der Science Diplomacy auch unter den schwieriger gewordenen Bedingungen der Gegenwart fortzuführen. //


Prof. Dr. Susanne Weigelin-Schwiedrzik

ist Professorin für Sinologie am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien.

Foto: Volker Weihbold / Illustration: Ajo Galvan

Prof. Dr. Peter-André Alt

ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und Professor für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin.

Foto: David Ausserhofer / Illustration: Ajo Galvan

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