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„Etwas mehr Wir“

Nach elf Jahren an der Spitze des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst legt Theresia Bauer Ende September ihr Amt nieder und kandidiert in Heidelberg als Oberbürgermeisterin. Im DUZ-Interview erläutert die Grünen-Politikerin und Politikwissenschaftlerin ihre Entscheidung und ihr Verständnis von Wissenschaft 

Frau Ministerin Bauer, Sie werden geschätzt als Person, die einen „kooperativen Weg geht, um gemeinsam Lösungen zu finden“. Was meinen Sie selber dazu? 

Stillstand, also ein Vorhaben nicht umsetzen zu können, ist in der Politik zu häufig der Normalfall. Neben dem Willen, etwas zu verändern, braucht man die Zusammenarbeit und das Mitwirken von ganz vielen Menschen. Auch als Ministerin sitzt man nicht an den Schalthebeln der Macht, die man einfach nach Belieben verstellen kann. Dazu muss man sein Gegenüber als Partner wahrnehmen, zuhören und gemeinsam zu tragbaren Lösungen kommen. Also ein bisschen mehr „Wir“ und ein bisschen weniger Ego leben. Alleine erreicht man so gut wie gar nichts. 

Sie wurden viermal als Wissenschaftsministerin des Jahres ausgezeichnet. Der sonst gegenüber Politikern recht kritische Deutsche Hochschulverband bescheinigte Ihnen „Dialogbereitschaft, politische Rationalität und „partiell sogar Exzellenz“. Wie ist es Ihnen gelungen, das Vertrauen und die Wertschätzung der WissenschaftsCommunity zu erlangen?

Das hat mich gefreut und gilt auch umgekehrt. Vielleicht bin ich ja als Person wahrgenommen worden, der es ernst ist mit dem Willen, Wissenschaft in unserer Gesellschaft zu stärken – und das verlässlich zu tun. Als ich 2011 ins Amt kam und zum ersten Mal eine grün geführte Landesregierung in Baden-Württemberg am Start war, wollte ich Wissenschaftsministerin werden. Nur dieses Ministerium wollte ich führen und sonst keines. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass wir keine unserer großen Aufgaben ohne die Erkenntnisse und die Kraft aus der Wissenschaft lösen können. Dazu gehört auch, Wissenschaft mehr Sichtbarkeit, mehr Freiräume, bessere Bedingungen und ein finanziell besseres Fundament zu geben, damit Erkenntnisse umgesetzt werden können und nicht bloß darüber geschwätzt wird. 

Wie könnte man die Bedeutung von Wissenschaft für die Gesellschaft vor Ort gegenüber den Bürgern in Heidelberg sichtbarer machen? 

Zu Beginn der Corona-Pandemie waren wir sehr auf die Wissenschaft angewiesen und haben als Politiker*innen wie nie zuvor immer wieder den Rat von Wissenschaftler*innen gesucht. Denn wir mussten Entscheidungen treffen in einer Situation, in der wir vieles nicht wussten. Beide Seiten verstehen die Eigenlogik der anderen jetzt besser und haben ein tieferes Verständnis dafür entwickelt, wie die jeweils andere Seite handeln muss. Wissenschaftler*innen brauchen Zeit für gründliche Arbeit und Politiker*innen müssen häufig sehr schnell entscheiden und sie müssen abwägen zwischen verschiedenen Gütern und Interessen. Wir müssen Erkenntnisse, Sorgen und Nöte, Akzeptanz und wirtschaftliche Umsetzbarkeit zusammenbringen und Kompromisse finden, die politisch verantwortbar sind. Die Wissenschaft ist der Wahrheit verpflichtet. Sie kann uns dabei helfen, uns auf dem Boden der Tatsachen möglichst gut nach vorne bewegen zu können. Ein Beispiel: In Heidelberg ist Gesundheit für die Wissenschaft das Top-Thema. Hier arbeiten eine Vielzahl unterschiedlichster Einrichtungen zusammen und leisten exzellente Arbeit. Gesundheit ist auch für viele Bürger*innen sehr wichtig – sei es für die Bewältigung von Corona-Folgen oder aktuell durch die Hitzebelastung, aber auch die Themen Bewegung oder gesunde Ernährung. In dieser Stadt könnten wir die Schnittstellen zwischen dem, was die Wissenschaft auf hohem Level erforscht, und dem, was den Bürger*innen wichtig ist, noch viel enger schnüren. Wissenschaft und Gesellschaft können in einer Universitätsstadt besonders gut voneinander profitieren. Die Bürger*innen werden dabei mehr Identifikation und Stolz entwickeln auf das, was „ihre“ Wissenschaft leistet. Ähnliches gilt für die Lehrerbildung. Hier können die Universität und die Pädagogische Hochschule gemeinsam mit den Schulen in der Stadt, mit den Schulleitungen, den Lehrer*innen und Eltern gemeinsam daran  arbeiten, neues Wissen schnell in der Praxis zu erproben und innovative Lösungen auf Praxistauglichkeit zu überprüfen. 

Im November treten Sie als Spitzenkandidatin der Grünen für die Oberbürgermeister-Wahl in Heidelberg in den Ring. Was macht dieses lokalpolitische Amt so attraktiv für Sie, nachdem Sie lange eine führende Rolle in der Landespolitik gespielt haben?

Es geht um meine Heimatstadt, in der ich seit mehr als 35 Jahren lebe. Heidelberg ist eine Stadt mit besonderen Potenzialen. Wissenschaft und Weltoffenheit sind tief in die Gene der Stadt eingeschrieben und machen einen Großteil des Charmes von Heidelberg aus. Ich möchte meine Stadt mit meiner Expertise darin unterstützen, ihre Potenziale noch besser zu heben. Dazu gehört, dass ich für ein besseres Klima sorge zwischen unterschiedlichen Akteur*innen und verschiedenen Bereichen aus Verkehr, Wohnen, Bildung und Stadtentwicklung. Es hängt vieles davon ab, wie wir es schaffen, miteinander zu kooperieren, um ganz konkret die Lebensqualität für die Menschen in der Stadt zu verbessern. Und miteinander den Mut fassen, Neues auszuprobieren. 

Ist es nicht ein großes Risiko für Sie, ohne Rückfahrtticket in die Landespolitik das Ministerinnenamt vorher aufzugeben? 

Grundsätzlich bin ich zwar eher ein vorsichtiger Mensch. Aber wenn ich mich für etwas entschieden habe, weil ich davon überzeugt bin, dann gehe ich auch ins volle Risiko. Weil ich dann gerne alles gebe. Halbherzigkeit kann ich nicht leiden.

Wie erleben Sie die Bürger in Ihrem Politikerinnenalltag, wenn Sie versuchen, für Ihre Ideen und Projekte zu werben: Ablehnung, Anfeindung oder Interesse? 

Es gibt alles. Es gibt diejenigen, die von ihren Sorgen und Ängsten, ihrer Wut und ihrem Frust getrieben sind. Es gibt aber auch viele, die von ihren guten Ideen und dem Willen, Dinge zu verbessern, getragen sind. Ich sehe meine Aufgabe darin, diese Kräfte zu motivieren, zu stärken und zusammenzuführen. Natürlich müssen wir dazu auch das direkte Gespräch mit den Bürger*innen suchen, um deren Anliegen zu verstehen. Hinter mancher Kritik, die vorgetragen wird, verbirgt sich ein gutes Ansinnen und ein gemeinsames Ziel, auf das man sich verständigen kann. Ich treffe viele Menschen, die sich engagieren, häufig im Ehrenamt und in ihrer Freizeit. Das motiviert mich als Politikerin immer wieder neu. Und deswegen bin ich auch optimistisch, dass wir trotz der manchmal komplizierten Aushandlungsprozesse in der Demokratie sehr vieles erreichen können.

Sie selber mussten als Grünen-Ministerin im Jahr 2011 einen Glaubwürdigkeits-Stresstest bestehen, als es um die Zivilklausel-Auseinandersetzung ging. Sie begründeten das Fehlen dieser Klausel beim KIT-Gesetzesentwurf „mit der Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes und dass die Hochschulen die Möglichkeit haben müssten, für die Bundeswehr zu forschen“ – obwohl Sie selber im Juni 2009 die gesetzliche KIT-Zivilklausel beantragt hatten. Würden Sie das im Rückblick betrachtet heute anders machen? 

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Staat nicht definieren darf, mit welchen Fragen sich Hochschullehrende beschäftigen oder nicht beschäftigen sollen. Das gilt auch für Sicherheitsthemen oder für militärisch relevante Fragen. Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zu unterbinden. Die Verantwortung dafür, welche Themen, Fragen und Kooperationen gesucht werden, muss in der Hand der Wissenschaftler*innen und der Hochschulen selber liegen. Es gibt ja auch die Verpflichtung, darüber Transparenz herzustellen. Diese Überzeugung hat sich bei mir nicht gewandelt. Aber in der Tat: Damals, noch in der Opposition, hatte ich einen Antrag meiner Fraktion mitunterzeichnet, der viele Änderungsforderungen zum KIT-Gesetz enthielt, die ich alle richtig fand – bis auf einen einzigen, der für mich sehr problematisch war, nämlich die Aussage zur Zivilklausel. In der Gesamtschau des Antrags hatte ich diese mitgetragen. Heute würde ich sagen, das war kein guter, sondern ein fauler Kompromiss. Heute würde ich sagen, es ist ein Fehler, wenn man bei der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner seine Grundüberzeugungen zu sehr strapaziert. Dass man in Regierungsverantwortung kritische Nachfragen erhält, wenn sich Widersprüche zu früheren Aussagen in der Opposition ergeben – das muss man aushalten. Das ist gelebte Demokratie. 

Schauen wir auf die Restriktionen in der Wissenschaftszusammenarbeit mit Russland: Müssten Sie da nicht eigentlich eine Lanze für die Wissenschaftsfreiheit brechen, wenn Wissenschaftseinrichtungen „gezwungen“ werden, ihre oft langjährigen und vertrauensvollen Kooperationen mit russischen Wissenschaftlern einzufrieren?

Ich habe da einen klaren Standpunkt. Angesichts dieses unsäglichen Angriffs von Putin auf die Ukraine und des unerträglichen Krieges sind klare Haltungen und Handlungen aus Deutschland nötig. Dazu gehört, dass auf der institutionellen Ebene der Wissenschaftskooperation – da wo öffentliche Gelder zwischen Institutionen fließen – Kooperationen mit russischen Hochschulen und Akademien eingefroren werden. Ich glaube, dass man da derzeit nicht neutral bleiben kann und auch nicht neutral bleiben darf. Davon sind direkte vertrauensvolle Beziehungen zwischen einzelnen Personen ja nicht betroffen. Aber ja, da, wo gewachsene Wissenschaftsbeziehungen unterbrochen werden, kann das sehr weh tun. Und wir dürfen nicht aus dem Auge verlieren, dass Wissenschaft ein Bereich ist, der grundsätzlich kooperationsfreundlich sein muss – soweit das unterhalb der Institutionenebene machbar ist. Wir sehen, wie Putin seine Wissenschaftsorganisationen seinem Agieren unterwirft. Deshalb dürfen wir auch nicht naiv sein.

Corona-Pandemie und Klimakrise haben uns vor Augen geführt, dass es bei komplexen Themen wichtig ist, dass Politiker Experten und insbesondere Wissenschaftler zu Rate ziehen. Wie haben Sie das gehandhabt? 

Wissenschaftliche Expertise habe ich nicht durch persönliche Beraterkreise, sondern eher institutionell in Anspruch genommen, besonders dann, wenn es um neue Themenfelder oder Herangehensweisen ging. Ein Beispiel: Zu Beginn meiner Amtszeit wollte ich wissen, was die Wissenschaft im Land zum Thema Nachhaltigkeit an Beiträgen liefert. Nicht nur im Sinne neuer technischer Lösungen für Nachhaltigkeitsprobleme, sondern auch im Hinblick darauf, wie sie als soziale Innovationen in die Praxis kommen, also auch als Verhaltensänderungen vor Ort umgesetzt werden. Ich habe einen wissenschaftlichen Expertenbeirat eingesetzt, der die Ausgangslage bewertet und Instrumente vorgeschlagen hat, wie die Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft, lokalen und regionalen politischen Entscheider*innen und der Zivilgesellschaft intensiviert werden kann. Auf diesem Weg wurde 2013 das Format „Reallabor“ ins Leben gerufen. Mit dessen Hilfe fördern wir den Transfer aus der Wissenschaft in die Kommunen und Regionen und wir motivieren zu neuen Konstellationen der Zusammenarbeit. So können auch Erkenntnisse aus den Gesellschaftswissenschaften besser in den Kommunen und Regionen angewandt und erprobt werden. Das Reallabor hat sich bewährt und ist heute ein gängiges Format für Kooperationen in vielen Bereichen im ganzen Bundesgebiet.

Als Wissenschaftsministerin haben Sie sich dafür eingesetzt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse auch für regionale und kommunale Aufgaben genutzt werden konnten. Wie funktionierte das ganz praktisch? 

Wir haben zum Beispiel ein Reallabor gefördert, das die Wissenschaft mit Schulverwaltungen zusammengebracht hat. Zentrale Frage war: Wie kann das Wissen, das wir über Gelingensbedingungen von Bildungsprozessen haben, schneller in Schulen transportiert werden, im Hinblick auf Lernumgebungen und Architektur. Da es nur wenige Neubauten bei Schulen gibt, ging es darum, dieses Wissen für Sanierungen und Umbaumaßnahmen zu nutzen. Also haben wir Bildungswissenschaftler*innen, Architekt*innen, Schulverwaltungen und -leitungen dazu bewegt, gemeinsam ihr Know-how und ihre Ideen auszutauschen, um Umbauprozesse an Schulen für bessere Lernräume zu nutzen. Alle Beteiligten haben bei diesem Prozess voneinander gelernt und es haben sich Beratungsnetze gebildet, die noch lange weiterwirkten, nachdem das Reallabor beendet war. Wir aus der Politik haben daraus gelernt, dass es wichtig ist, Veränderungen erst einmal auszuprobieren und eine Art Prototyp zu entwickeln, den man gemeinsam Schritt für Schritt optimiert, bevor man daraus allgemeinverbindliche Regelungen oder neue Gesetze ableitet.

Wie kann man verhindern, dass Wissenschaftler und Experten Rollen einnehmen, die ihnen nicht zustehen, oder gar Lobbyismus betreiben?

Alle Seiten müssen Rollenklarheit bewahren. Wissen­schaft­ler*innen helfen der Politik mit ihren gesicherten Wissensbeständen, Faktenklarheit herzustellen und eine fundierte Basis zu bekommen, um mögliche Folgen von Entscheidungen besser einzuschätzen. Damit bekommen wir sozusagen ein faktenbasiertes Fundament. Die Entscheidungen für die Zukunft aber müssen die politisch Verantwortlichen treffen. Dabei müssen sie nicht nur sehr unterschiedliche Perspektiven und Interessen berücksichtigen und in Ausgleich bringen, sondern auch Finanzierbarkeit, Mehrheitsfähigkeit und Akzeptanz beachten. Politik und Wissenschaft agieren also in ganz verschiedenen Logiken. Je mehr die unterschiedlichen Rollen von Politiker*innen und Wissenschaftler*innen den Beteiligten bewusst sind, desto weniger kommt es zu Konfusionen und falschen Erwartungen.

Mit Ihnen als Oberbürgermeisterin könnte sich Heidelberg also zu einer interessanten, prosperierenden, innovativen Stadt entwickeln?

Das ist mein Angebot an die Heidelbergerinnen und Heidelberger. Diese schöne Stadt noch attraktiver zu machen, indem das Band von Wissenschaft und Stadt, von Tradition und Erneuerung, von Einheimischen und Zugezogenen noch enger geknüpft wird. In Sachen Gesundheit, Bildung, Start-up-Kultur und Freiräume für Kreative ist noch viel Luft nach oben. //


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