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„The Big Bang Theory“, „Ich bin dein Mensch“, „Der Marsianer“: Wenn sie in fiktionalen Filmen und Serien vorkommt, erreicht die Wissenschaft ungleich mehr Menschen als mit herkömmlichen Formaten der Wissenschaftskommunikation. Nur: Wie kommt sie da rein?

Rund zehn Millionen Menschen in Deutschland sind an Wissenschaft interessiert – laut Statistischem Bundesamt bezeichnen sich 29 Prozent als „ein bisschen“ interessiert. Es könnte vielleicht schlimmer sein, aber aus Sicht der Wissenschaftskommunikation sind die Zahlen deprimierend: „Sie stagnieren seit Jahren“, sagt Dr. Christina Beck, Kommunikationsleiterin der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), „wir schaffen es trotz unserer zahlreichen neuen Kommunikationsformate nicht, mehr Menschen zu erreichen.“ 

Die Zielgruppen, die Beck, 2021 von ihren Fachkollegen zur Forschungssprecherin des Jahres gekürt, im Blick hat, sind diejenigen, die die Forschungseinrichtungen und Hochschulen mit ihren Magazinen, Podcasts, Videos, Forschungsschiffen und Mitmach-Veranstaltungen nicht sowieso schon erreichen. Doch wo kann man diese Menschen finden? Vor den Fernsehern und Tablets, vermutet Beck. Sie denkt dabei an ein Publikum, das, ob wissenschaftsinteressiert oder nicht, fiktionale Filme und Serien konsumiert, um abzuschalten und sich zu unterhalten. Diese Zuschauerinnen und Zuschauer erfahren, während sie mit den Protagonisten des Formats mitfiebern, -leiden oder -lieben, womit sich Forschende beschäftigen und was Wissenschaft zu leisten imstande ist – beiläufig, ohne Anstrengung oder Bildungsanspruch. Beck verweist auf Serien wie die US-amerikanische Sitcom „The Big Bang Theory“ oder die ebenfalls amerikanische Arztserie „Dr. House“: Unterhaltung entlang wissenschaftlicher Themen und mit Wissenschaftlern als Protagonisten. Auch in Filmen wie den Blockbustern „Jurassic Parc“ oder „Indiana Jones“ kam Wissenschaft vor, oder jüngst im Weltraum-Film „Der Marsianer“ oder „Gravity“. Solche Formate werden von einem breiten Publikum konsumiert: eine traumhafte Reichweite für die Wissenschaft. 

Potenzial liegt brach

In Deutschland muss man allerdings ein bisschen nachdenken, bis einem Filme oder Serien mit naturwissenschaftlich-technischem Stoff einfallen, vom „Tatort“ aus Münster mal abgesehen, in dem sogar ein Professor (Jan Josef Liefers) mit kriminalpathologischem Werkzeug gegen das Verbrechen zu Felde zieht. An die letzte richtige Science-Fiction-Serie „Raumpatrouille Orion“ erinnern sich wohl nur die Älteren noch, sie lief in den 60er- und 70er-Jahren. Das Potenzial für wissenschaftliche Reichweite in deutschen Unterhaltungsformaten liege weitgehend brach, beklagt Dr. Marion Esch. Sie ist Mitgründerin und Vorstandsvorsitzende der 2013 errichteten Stiftung für MINT-Entertainment-Education-Excellence (MINTEEE). Minteee will Wissenschaftler mit Film- und Fernsehschaffenden zusammenbringen, damit fiktionale Formate mehr naturwissenschaftliche und technische Themen aufgreifen. Ursprünglich sollten junge Leute, vor allem junge Frauen, für die MINT-Berufe interessiert werden. Esch zitiert den sogenannten „CSI-Effekt“: Durch die Ausstrahlung der amerikanischen Krimiserie CSI sei die Forensik in den Fokus der Öffentlichkeit geraten und es habe in den USA einen „Run“ junger Frauen auf diese Berufe gegeben.

Die Arbeit der Stiftung wird von der MPG und der Fraunhofer-Gesellschaft sowie von Auftraggebern von Studien und Tagungen finanziert, darunter das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Minteee vermittelt in Zusammenarbeit mit der MPG und der Fraunhofer-Gesellschaft Expertinnen und Experten und veranstaltet Zusammenkünfte von Produzenten, Autoren und Redakteuren aus Sendern, Filmwirtschaft und Filmhochschulen. Themen sind beispielsweise: Welche neuen medizinischen Therapieansätze sind in den kommenden eineinhalb Jahren zu erwarten – das ist interessant für medizinische Produktionen wie etwa „In aller Freundschaft“ (MDR). Oder: Was bedeuten die Umbrüche in der Medienwelt für die Wissenschaftskommunikation? Die Sache nehme langsam Fahrt auf, sagt Esch: „Seit 2016 bewegt sich was.“ So wurden unter dem Label „near future“ in den vergangenen Jahren öffentlich-rechtlich drei Science-Fiction-Filme produziert, die sich naturwissenschaftlich-technischer Zukunftsthemen annahmen, darunter „Ich bin dein Mensch“ von Maria Schrader, in dem ein Android – ein Kunstmensch – sich als Lebenspartner bewähren soll. Der SWR befasste sich in dem Thriller „Exit“ mit Künstlicher Intelligenz. Im ZDF ist gerade der Bestsellerroman „Der Schwarm“ von Frank Schätzing als Mehrteiler abgedreht worden, die Folgen sollen 2023 ausgestrahlt werden. Der Produktion zur Seite stand unter anderem die Meeresforscherin Prof. Dr. Antje Boetius. 

„Themen emotional erzählen“

Etwas präsenter als die MINT-Themen sind geistes- und sozialwissenschaftliche Themen in deutschen Produktionen. Alexander Bickel, Leiter des Programmbereichs Fiktion beim WDR, sagt: „Wir haben eine Affinität eher zu gesellschaftlichen Themen.“ So spielten etwa auf dem Sendeplatz am Mittwoch um 20.15 Uhr in der ARD Themen wie die Integration von Minderheiten eine große Rolle. Im Bemühen um mehr Diversität beziehe man jedoch naturwissenschaftlich-technische Themen ein, indem beispielsweise eine Protagonistin mit einem solchen Beruf ausgestattet werde. Die Redakteure und Redakteurinnen in seiner Abteilung hätten großenteils einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund: „Zu Naturwissenschaften haben wir wenig Berührungspunkte.“ Deshalb greife man nötigenfalls zunächst – in der Entwicklungsphase von Projekten – auf die hauseigene Expertise der wissenschaftsjournalistischen Kolleginnen und Kollegen aus der „Quarks“-Redaktion zurück. „Bei uns“, sagt Bickel und meint seine eigene Abteilung, „geht es darum, Themen emotional zu erzählen. Wie man einen naturwissenschaftlichen Impact erreicht, ist nicht unsere erste Frage.“ 

Häufiger arbeite man mit Historikerinnen und Historikern zusammen, sagt Bickel. So soll im kommenden Jahr eine sechsteilige Serie über die junge Bundesrepublik mit dem Titel „Bonn“ anlaufen, in der es um politische Intrigen geht. Dafür habe sich der WDR geschichtswissenschaftliche Fachberatung geholt, denn: „Das musste sehr gut recherchiert werden, wir haben ein fachlich bewandertes Publikum.“ Nicht auszuschließen ist, dass Teile dieses Publikums die Adenauerzeit noch aus eigener Anschauung kennen. Der Durchschnitt der Zuschauerinnen und Zuschauer der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ist älter als 60 Jahre. Bickel meint zwar, dass es, um jüngere Zielgruppen zu erreichen, nicht auf die Themen, sondern auf die Erzählweise ankomme. Dennoch ist ihm klar: „Wir müssen auch auf Gegenwarts- und Zukunftsthemen setzen.“ Dazu verweist er auf die Serie „Arcadia“, bei der achtmal in jeweils 50 Minuten über Social Scoring (Bewertung für das Sozialverhalten) erzählt wird, eine Co-Produktion mit dem SWR und dem niederländischen Fernsehen, die 2023 im Ersten laufen soll.

Beim ZDF bekennt sich Frank Zervos, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie I und Stellvertretender Programmdirektor des ZDF, ebenfalls dazu, wissenschaftliche Themen einem breiteren Publikum präsentieren zu wollen. Als Beispiele für einen „gelungenen Spagat“ zwischen Wissenschaft und Fiktion führt er neben der erwähnten „Schwarm“-Verfilmung den ZDF-Film „Die Wannseekonferenz“ von Matti Geschonneck (Regie) an, der vom Wissenschaftsjournal „Terra X“ und mit Unterrichtsmaterial begleitet wurde. Die wissenschaftliche Beratung kam von Prof. Dr. Peter Klein (Touro College Berlin). „Wissenschaftliche Beratung ist für uns essenziell und wir haben sehr gute Erfahrungen mit unabhängigen Beratern gemacht“, sagt Zervos. Allerdings könne es bei Institutionen „aufgrund von Compliance-Regelungen etwas komplizierter werden“. „Als öffentlich-rechtlicher Sender sind wir einerseits zur Staatsferne verpflichtet. Andererseits können und dürfen wir weder staatlich geförderte noch nicht staatliche Institutionen direkt oder indirekt werblich ins Rampenlicht rücken. Hierfür gibt es klare Compliance-Regeln, die bei jeder Kooperation von einer internen Stelle geprüft werden.“ 

Marion Esch von der Stiftung Minteee kennt solche Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit. Für die Hauptbarriere hält sie allerdings etwas anderes, nämlich die große Anzahl an Krimis und Medicals. „70 Prozent der Filme und Serien im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind Krimis. Darüber hinaus stehen vornehmlich Medicals oder Familienserien und Soaps auf dem Programm“, klagt sie. Es sei schlicht zu wenig Platz für Produktionen mit wissenschaftlichem Stoff. Es fehle ganz generell in Deutschland ein Bewusstsein und wohl auch eine Tradition dafür. Schon in der Ausbildung von Filmschaffenden sei die Wissenschaft nicht mitgedacht – anders als in den USA, wo die Ausbildung an Universitäten stattfinde und Science Communication Teil des Curriculums sei. Insgesamt gebe es dort mehr Kapazitäten für die Verarbeitung wissenschaftlicher Stoffe. Tatsächlich hat die Nationale Akademie der Wissenschaften extra einen eigenen Bereich „Science and Entertainment Exchange“ für die Unterstützung wissenschaftlicher Themen in Filmstoffen gegründet. Natürlich tut auch die NASA ihren Teil zur Sache dazu, etwa mit Equipment für Filme, sei es ein Marsroboter, seien es Weltall-Aufnahmen; ein Engagement, das man auch kritisch sehen kann.

Stoffentwicklung mit Risiko

Dennoch könnten offenere Arme seitens der Wissenschaft und Strukturen für eine Zusammenarbeit auch in Deutschland hilfreich sein, sagt Christian Lex, Schauspieler, Drehbuchautor und Mitglied im Vorstand des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren. „Wenn man einen Krimi schreibt, wird man von der Kripo mit Material überschüttet. Die sind darauf eingestellt“, erzählt er. Bei anderen Themen hänge es an der Eigeninitiative eines Autors, von den ausgetretenen Pfaden abzuweichen und neue Themen zu recherchieren. Komplexe wissenschaftliche Themen verständlich in Unterhaltungsformaten darzustellen, sei sehr anspruchsvoll. Die Recherchen seien aufwendig und der Schönheitsfehler an der Sache: Sie werden nicht bezahlt. Zwar steckt die Hauptarbeit in der Stoff­entwicklung, doch Geld fließt erst, wenn das Drehbuch an einen Sender verkauft ist. Wird der Stoff nicht verkauft, bleiben die Produktionsfirma und der Drehbuchautor auf ihrem Aufwand sitzen. „Die Sender haben zwar Recherchebudgets, aber die reichen nicht aus. Man muss in Vorleistung gehen und querfinanzieren“, schildert Lex die Lage. Wegen ähnlicher Nöte versuchten die Produzenten, das Interesse der Sender zu antizipieren und setzten lieber auf Bewährtes. Ihre Risikobereitschaft sei eher gering.

Es gebe zwar Beratung, manchmal übernähmen das auch die Produktionsfirmen, sagt Christian Lex. Die Frage ist nur, wie viel davon „unten“ bei den Drehbuchautoren ankommt. „In 18 Jahren habe ich erst ein einziges Mal ein richtiges Dossier bekommen“, sagt Lex. Er selbst ist gelernter Krankenpfleger und kann medizinisches Wissen einbringen. In der Szene hat er sich damit inzwischen einen fachlichen Ruf erarbeitet. Lex hat das Drehbuch zu „Eine unerhörte Frau“ über den Kampf einer Mutter um Hilfe für ihre erkrankte Tochter mitgeschrieben, der den Deutschen Fernsehpreis 2018 gewann, und „Die Luft zum Atmen“ (2021, ZDF), in dem es um eine an Mukoviszidose erkrankte Frau geht. Allen Schwierigkeiten zum Trotz sieht auch er die Branche im Aufbruch. „Jetzt ist die große Zeit der Erzählung“, sagt er. „Der Kessel kocht heiß.“ Alle kämpften um die Zielgruppen, nicht zuletzt wegen der Konkurrenz der Streamingdienste. Alle seien auf der Suche nach noch nicht auserzählten Bereichen.

Die Wissenschaft hat Konkurrenz

Gerne erinnert er sich an eine Tagung auf einer Internationalen Funkausstellung (IFA) zum Thema MINT-Berufe und an ein Filmfestival in Lissabon 2015 zu Wissenschaftsfilmen. In Deutschland mangelt es trotz mancher Bemühungen offenbar noch an der Kommunikation und Gelegenheiten; weder die Stiftung Mintee noch das Silbersalz-Filmfestival in Halle scheinen in der Welt der Drehbuchautoren eine Rolle zu spielen. Das könnte jedoch auch an der Konkurrenz liegen. Zwar wollen alle gerne weg von den Innenarchitekten, Ärztinnen und Anwälten, die die Fernseherzählungen bevölkern, lenken aber den Blick deshalb nicht automatisch auf die Wissenschaft. Im Gegenteil, sagt Lex. Das Ziel sei nicht, Akademiker durch Akademiker zu ersetzen: „Es gibt überproportional viele Akademiker im Fernsehen! Man versucht eher, mehr nicht akademische Berufe und weniger privilegierte Haushalte zu zeigen.“ Die Welt ist groß und bunt und soll auch so gezeigt werden. Der Wettbewerb um Präsenz und Zielgruppen erfreut sich reger Teilnahme. //


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