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Hybride Umgebungen nutzbringend gestalten

Über Konzeption, Planung und Umsetzung neuer Raumtypen für digitalen und analogen Unterricht – ein Projekt zu den Wirkfaktoren und der Gestaltung hybrider Lernräume

Der Hochschulcampus befindet sich im Wandel. Digitale Medien und neue Lehr- und Lernformate verändern und ergänzen die Aktivitäten innerhalb der Hochschule. Diese neuen Möglichkeiten können eine Bereicherung sein, aber auch die Qualität des Lernens beeinträchtigen. Teils aus Bequemlichkeit, teils aus ökonomischen Überlegungen werden Präsenzangebote weniger wahrgenommen, wenn es digitale Alternativen gibt. Oberflächlich betrachtet kann der Wissenserwerb mit diesen Medien gleich gut und oft sogar besser gelingen. Denn ein Lernvideo lässt viel mehr Selbststeuerung der Lernenden zu. Dabei geht es nicht nur um die zeitliche Flexibilität, sondern vornehmlich um die Nutzungsflexibilität, etwa die Steuerung der Inhalte. Schwierige Abschnitte können wiederholt und an wichtigen Stellen kann pausiert werden. Auf der Strecke bleiben dabei leider allzu oft der tiefere Diskurs über die Inhalte, der formelle und informelle Austausch mit Lehrpersonen und Kommilitonen, die Bildung von Lerngruppen und das Hineinwachsen in eine Wissenschaftsdisziplin. 

Es lohnt sich daher gerade jetzt, über die Funktionen des Campus und die dort vorhandenen Lernräume nachzudenken. Das Lehren und Lernen an der Hochschule findet nämlich hauptsächlich in Gebäuden und deren Räumen statt, wobei sich bestimmte Formen wie Hörsäle, Seminarräume, Klassenzimmer oder Labore in jahrhundertelanger Tradition entwickelt haben. Solche Räume sind jedoch oft isolierte Orte, da die Lernaktivitäten selten miteinander verbunden sind. Hybride Lernumgebungen können solche Brüche und isolierten Aktivitäten überwinden, da sie bestehende Dichotomien infrage stellen. 

Der Campus als Ort der Begegnung

Die Möglichkeiten digitaler Medien haben schon vor der Corona-Pandemie zu vielfältigeren Formen der Lehre und des Lernens geführt. So wurde etwa im Flipped Classroom Wissen in Lernvideos vermittelt und die Zeit auf dem Campus für einen vertiefenden Diskurs oder zur praktischen Übung mit Feedback verwendet. In den vergangenen Semestern mussten Lehrveranstaltungen aufgrund der Pandemie zwangsläufig auf digitale Formate transformiert werden. Dies hat zu vielen Experimenten geführt, die teils sehr innovative Formate zum Vorschein gebracht haben. Gleichwohl sind die Begegnung und der informelle Austausch auf dem Campus zu kurz gekommen und es zeigt sich gerade die Gefahr, dass sowohl Studierende wie auch Dozierende die erhöhte Flexibilität der digitalen Formate so sehr schätzen gelernt haben, dass die regelmäßige Begegnung auf dem Campus reduziert wird. Doch Hochschulbildung ist nicht nur reine Wissensvermittlung. Das Hineinwachsen in eine Fachkultur, das Erleben wissenschaftlicher Diskurse und das Arbeiten mit Maschinen, Materialien und Medien, die eben nicht zu Hause vorhanden sind, prägen das Hochschulleben.

Raumbedarfe ermitteln

Wenn nun aber die Wissensvermittlung digital ganz gut funktioniert und der Campus vor allem ein Ort der Begegnung und für besondere Arbeits- und Lernformen geeignet ist, dann stellt sich die Frage, ob die räumliche Gestaltung heutiger Campus noch zeitgemäß ist. Damit einher geht auch die Frage nach Raumbedarfen. Einerseits allgemein in Form von Raumkennzahlen und benötigten Quadratmetern: Wenn Vorlesungen digital durchgeführt werden, Studierende und wissenschaftliches Personal zunehmend mobil arbeiten, dann kann schnell der Eindruck entstehen, dass weniger Platz benötigt wird. Während die Räume in der Vorlesungszeit hoch frequentiert oder überfüllt sind, gleicht so mancher Campus in vorlesungsfreien Zeiten einer Einöde. Schon aus ökologischer Sicht sind über weite Zeitstrecken ungenutzte Räume zu hinterfragen. Eine Reduktion der erforderlichen Flächen ist jedoch zu kurz gedacht. Denn die neuen Lehr- und Lernformate sind vor allem projektorientiert, fallbasiert, problembezogen, inklusiver und interdisziplinärer. Diese handlungsorientierten Formate benötigen eher mehr als weniger Platz. Der Hörsaal und auch der Seminarraum waren ja besonders platzsparend: Studierende sitzen eng nebeneinander. Projekträume, Gruppen- und Einzelarbeitsplätze, Lernnischen und Lernboxen erfordern jedoch mehr Raum je Person. 

Projekt zu Raumtypen

Neben der Frage nach der reinen Quadratmeterzahl ist zu klären, welcher Raumtypen es zukünftig überhaupt bedarf. Hier setzt unser vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt „Wirkfaktoren und Good Practice bei der Gestaltung hybrider Lernräume“ an. Es erforscht, welche hybriden Raumtypen sich vor und während der Pandemie herausgebildet haben. Etablierte Lösungen werden dabei als Entwurfsmuster generalisiert und deren Nützlichkeit begründet. Ein Entwurfsmuster beschreibt nämlich neben der Raumlösung auch die Umsetzbarkeit, die Rahmenbedingungen und Wirkfaktoren: Was kann mit einer bestimmten Raumkonfiguration erreicht werden? Wie können Studierende und Lehrende sich besser vernetzen? Die Gestaltung der Lernräume hat einen großen Einfluss auf die Lernaktivitäten. Räume sollten Möglichkeiten für ein reiches Repertoire an Aktivitäten und sozialen Interaktionen bieten. Dieses Ziel wird mit hybriden Lernumgebungen verfolgt. 

Hybride Lernumgebungen definieren

Der Begriff Hybridität impliziert Aktivitäten und Lernräume, die von traditionellen Dichotomien wie physisch/digital, akademisch/nicht akademisch, online/offline, formal/informell, lernen/lehren und individuell/sozial abweichen. Er bezieht sich auf orts- und zeitvielfältige Lerngelegenheiten und ist nicht auf die Kombination von physischen und digitalen Lernumgebungen reduziert. Vielmehr finden weitere Raumdimensionen wie etwa der Sozialraum, der Informationsraum, der Navigationsraum oder der didaktische Raum darin Beachtung. Die verschiedenen Räume sollen dabei nicht nur im Sinne des „Seamless Learning“ überbrückt werden, sondern gleichberechtigt existieren und ineinander übergreifen. Im Idealfall ermöglicht ein Raum oder ein Raumbereich auf dem Campus die Koexistenz oder zumindest den nahtlosen Wechsel zwischen formellen und informellen Kontexten, zwischen kleinen und großen Lerngruppen, zwischen haptischen Werkzeugen und Materialien und Online-Werkzeugen und Medien, zwischen Präsenzteilnehmenden und online dazugeschalteten Personen. 

Während der Pandemie wurde der Begriff „hybride Lehre“ populär. Dieser wird oft sehr eng gefasst und bezeichnet meist etablierte Formate, die um eine digitale Komponente erweitert wurden. Unter einer hybriden Vorlesung wird zum Beispiel eine Vorlesung verstanden, die vor Ort durchgeführt und live gestreamt wird. Dabei wird eine traditionelle Veranstaltungsform konserviert, ohne die eigentliche Funktion zu hinterfragen und zusätzliche Potenziale auszuschöpfen. 

Bei der Gestaltung hybrider Lernumgebungen ist die Frage nach den intendierten und tatsächlich stattfindenden Lernaktivitäten zentral. Bei tradierten Formaten wie Vorlesungen oder Übungen werden die Funktionalität und Sinnhaftigkeit meist als gesetzt angenommen und selten hinterfragt. So fällt einem bei der Vorlesung zunächst die Wissensvermittlung als wichtige Funktion ein. Dies scheint aber zu kurz gedacht. Einerseits sind dank der hochschuldidaktischen Einrichtungen an vielen Hochschulen die Vorlesungsformate längst viel aktivierender aufgebaut, zum Beispiel, indem Studierende per Handy Antworten, Kommentare und Beiträge senden, nach Antworten googeln oder sich in Murmelgruppen direkt austauschen. Andererseits wird übersehen, dass das gleichzeitige Zusammenkommen an einem Ort vielleicht die wichtigere Funktion ist: das Erleben eines Wir-Gefühls der Verzweiflung oder Erleuchtung, das bei der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Themen entsteht; die Garantie, auf Dozierende zu treffen und sie nach und während der Vorlesung etwas fragen zu können; die Möglichkeit, sich mit anderen zu Lerngruppen, zur Party oder zu Dates zu verabreden. 

Vielfalt nicht ignorieren, sondern für didaktische Settings nutzen

Die Kommunikation der Studierenden im Hörsaal und anschließend in der Mensa oder in einem Projektraum ist ganz anders als die Kommunikation über Chats oder Diskussionsforen. Eine hybride Vorlesung, die Online-Teilnehmende und im Hörsaal sitzende Studierende gleich adressiert, übersieht dabei die Besonderheiten des Umfelds Hochschule und des Umfelds daheim. Zu Hause können Studierende auf eigene Werkzeuge und Materialien zurückgreifen – eigene Bücher, den eigenen Schreibtisch und Haushalt. In der Hochschule kann auf besondere Werkzeuge und Materialien zurückgegriffen werden, etwa auf die Medien der Bibliothek und die Gerätschaften aus speziell ausgestatteten Laboren oder Werkstätten. 

Die jeweiligen Lernorte auf dem Campus, daheim und unterwegs bieten unterschiedliche Möglichkeiten und haben auch verschiedene Einschränkungen. Diese Vielfalt sollte nicht ignoriert, sondern für didaktische Settings genutzt werden. Für hybride Vorlesungen bedeutet dies, dass das Format weitergedacht werden sollte. So können sich Dozierende und externe Expertinnen und Experten in den Hörsaal dazuschalten. Noch weiter gedacht können durch die Hinzuschaltung von Expertinnen und Experten hybride Konferenzen entstehen. Studierende erleben lokal auf ihrem Campus eine Konferenzatmosphäre, die Vortragenden sind aus aller Welt dazugeschaltet. Von besonderem Interesse ist also, welche neuen Möglichkeiten durch digitale Medien auf dem Campus selbst entstehen. 

Entwurfsmuster als partizipative Gestaltungsgrundlage

Im Rahmen einer Bildungssafari besuchen wir derzeit viele Hochschulen in Deutschland und suchen nach innovativen, hybriden Raumformaten. Dazu gehören hybride Innovationsräume, Designstudios, Makerspaces, buchbare Projekträume, Lerncafés, Lernboxen und Lernnischen, Pop-up-Räume, Coding Labs und offene Experimentierräume. Sie alle stellen selbst organisiertes Lernen in den Mittelpunkt und ermöglichen Formate jenseits des klassischen Seminars oder der Vorlesung. Diese Raumtypen werden als Entwurfsmuster beschrieben. Diese Muster dienen einerseits als Inspiration im Gestaltungsprozess und andererseits als Begründung und Rechtfertigung für die Umgestaltung von Räumen.

Dabei ist es wichtig, die verschiedenen Interessengruppen einzubeziehen und im Idealfall einen partizipativen Designprozess zu moderieren. Studierende können frühzeitig einbezogen werden, zum Beispiel indem sie im Rahmen von Projekt- und Abschlussarbeiten an der Raumplanung beteiligt werden. Gute Erfahrungen konnten wir am Campus Gummersbach der Technischen Hochschule Köln mit der Durchführung von Design Sprints beziehungsweise „Educational Hackathons“ sammeln. Dabei fokussierten sich die Studierenden in Teams über mehrere Tage auf die Neugestaltung von Räumen. Zunächst mussten die Anforderungen, Einsatzmöglichkeiten und Wünsche erhoben werden. Existierende Raumkonzepte konnten als Inspiration für die Gestaltung neuer Räume genutzt werden. Den Studierenden wurden die bereits erwähnten Entwurfsmuster zur Verfügung gestellt. Dies birgt zwar einerseits die Gefahr, dass sich die Studierenden zu sehr an dem orientieren, was es schon gibt. Andererseits werden die Augen dafür geöffnet, was bereits möglich ist. In Kombination mit weiteren Kreativmethoden wurden neue Ideen entwickelt. Die prototypische Modellierung erfolgte mithilfe von Skizzen und Legobauten. Nicht nur die Raumkonfiguration, sondern auch die erhofften Lernaktivitäten mussten dargestellt werden. Am Ende des einwöchigen Sprints stand die kritische Auseinandersetzung mit den Entwürfen. Die Ergebnisse dieser Workshops und die auf existierenden Lösungen basierenden Entwurfsmuster waren dann die Planungsgrundlage für neue Raumtypen. 

Allerdings sollten alle Raumbedarfe gut und nachvollziehbar begründet sein. Inzwischen wird daher für jeden Raum, der neu gestaltet werden kann, ein Planungsdokument angelegt. Dieses enthält eine Kurzbeschreibung des Raums, Moodboards mit Bildern existierender Räume und den Entwürfen aus den partizipativen Design Sprints, die Darstellung der primären und sekundären Funktionen, die Anforderungen an den Raum sowie die Lösungsbeschreibung mit Ausstattungsdetails. Die Planungsdokumente bauen dabei auf Entwurfsmustern auf. Für die flexible und individuelle Nutzung soll jeder Raum mehrere Lernaktivitäten unterstützen, daher werden mehrere primäre und sekundäre Funktionen aufgeführt. Primäre Funktionen können zum Beispiel Gruppenarbeit oder Designaktivitäten sein. Ein Beispiel für eine sekundäre Funktion ist die Erweiterung eines Gruppenarbeitsraums zu einem Lernkino. In Lernkinos können Studierende gemeinsam Lernvideos oder Vorlesungsaufzeichnungen anschauen, um so einerseits die zeitliche Flexibilität zu nutzen und andererseits direkt über die dargestellten Inhalte zu diskutieren. Durch die Ausstattung von Gruppenräumen mit großen Displays und bequemen Möbeln können Studierende hier also nicht nur im Rahmen von Projekten oder Workshops arbeiten (primäre Funktionen), sondern auch gemeinsam in kleinen Gruppen eine Vorlesung oder ein Lernvideo starten (sekundäre Funktion). 

Fazit

Hochschulen schaffen zunehmend hybride Lernumgebungen für informelles und selbstgesteuertes Lernen. Arbeits- oder Projekträume werden durch digitale Medien erweitert, sodass hybride Lernszenarien auf dem Campus möglich werden. Sie sollen Vielfalt, Flexibilität und Offenheit fördern, damit Lernende und Lehrende sich ihre persönlichen Lernumgebungen schaffen können. //


Prof. Dr. Christian Kohls

ist Dekan der Fakultät für Informatik und Ingenieurwissenschaften am Campus Gummersbach der Technischen Hochschule (TH) Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind hybride Lernumgebungen, Entwurfsmuster und Soziotechnische Systeme.

Foto: Eva Backes / TH Köln

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