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Kulturwandel anstoßen

Das Beispiel der Tenure-Track-Professur zeigt, ob wir einen Kulturwandel für eine Weiterentwicklung der Personalstrukturen im Wissenschaftssystem benötigen – und wie er aussehen könnte.

Der Kulturwandel wird als explizites Ziel im Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses formuliert (vgl. Verwaltungsvereinbarung WISNA 2016, Präambel). In Verbindung mit der Tenure-Track-Professur soll er gefördert und die Personalstruktur des wissenschaftlichen Personals an der gesamten Universität weiterentwickelt werden. Obwohl in der Debatte um die Tenure-Track-Professur vielfach ein Zusammenhang mit dem Kulturwandel gesehen wird, bleibt die Begriffsbestimmung bisher eher vage und eine Systematik für einen gelingenden Kulturwandel steht aus. Hier setzt dieser Beitrag an. Worauf bezieht sich jener Kulturwandel und was umfasst er? Wie wird er im Kontext der Tenure-Track-Professur sichtbar und damit auch zu einem Gestaltungsmittel von Transformationsprozessen an deutschen Universitäten? 

Universitäten in Deutschland sind durch ein hohes Maß an Autonomie und Expertenwissen ihrer Mitglieder verbunden mit der Norm der akademischen Freiheit und damit einhergehend von relativ flachen Hierarchien gekennzeichnet. Die verhältnismäßig lose Kopplung ihrer Einheiten geht mit einem niedrigen Maß an Koordinations- und Kooperationserfordernissen einher. In diesem komplexen Gefüge bietet Kultur Orientierung und kann zur Identitätsbildung beitragen, indem sie Denk- und Handlungsweisen, Wertvorstellungen und die typischen Arbeitsroutinen prägt. Wissenschaft zu betreiben, wird an sich als ein „Privileg“ beschrieben, befristete Arbeitsverträge und unsichere Zukunftsperspektiven sowie hohe Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen seien dabei in Kauf zu nehmen.

Was bedeutet dies für das deutsche Wissenschaftssystem und dessen relativ neuen Karriereweg der Tenure-Track-Professur? Dieser Fragestellung ist das Autorinnenteam nachgegangen, unterstützt von Dr. Anja Stanciu (Universität Potsdam) und Meike Ruhnau (Universität Hamburg), eingebettet in das im Nachgang der Tenure-Track-Tagung 2020 initiierte Tenure-Track-Netzwerk. Die Netzwerkmitglieder sind zumeist Wissenschaftsmanager und -managerinnen zentraler Organisationseinheiten, die mit dem Thema Tenure Track häufig in Berührung sind, wie den Stabsstellen des Rektorats/Präsidiums, dem Berufungsmanagement, den Personal- und Organisationsentwicklungsabteilungen, den Graduiertenakademien oder dem internationalen Marketing. Aus den Beobachtungen, Beschreibungen und Erfahrungen dieses Netzwerks mit seinen rund 100 Mitgliedern von 39 Universitäten haben die Autorinnen Herausforderungen für einen gelingenden Kulturwandel identifiziert, analysiert und die nachfolgende Systematik erarbeitet.

Der Wissenschaftsrat differenziert den Weg zur Professur an Universitäten in insgesamt drei Karrierephasen: 1. die Promotions-, 2. die Postdoc- und 3. die Bewährungsphase, zu der die Tenure-Track-Professur zählt. Kennzeichnend sind Befristungen auf dem Weg zur Professur. Jene bedingen im weiteren Karriereverlauf insbesondere bei der Berufung auf eine Professur zumeist einen Wechsel an eine andere Hochschule. Dies hat Frost mit dem Prinzip „Fördern – Qualifizieren – Wechseln“ ­übertitelt. Mit der Etablierung der Tenure-Track-Professur ändern sich zunehmend diese bis dato typischen Zugangswege. Die Tenure-Track-Professur richtet sich an akademisch junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler direkt oder wenige Jahre nach der Promotion. Bei dem Modell ist nach erfolgreicher Entwicklungs- beziehungsweise Bewährungsphase die Übernahme auf eine Lebenszeitprofessur an der gleichen Institution ohne erneute Ausschreibung vorgesehen. Anstelle bereits erbrachter wissenschaftlicher Leistungen soll Potenzial zur Basis einer früheren Bleibeperspektive im Wissenschaftssystem gemacht werden. Ein neues Paradigma hält somit Einzug: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der frühen Karrierephase attrahieren, sie gezielt fördern und ihnen eine dauerhafte Perspektive ohne einen verpflichtenden weiteren Wechsel der Institution bieten.

Universitäres Handeln bewegt sich im Rahmen rechtlicher Vorgaben und im Föderalismus entsprechend der jeweiligen Landesgesetze mit ihren spezifischen Ausgestaltungen der Tenure-Track-Professur. Hinzu kommen Ressourcenbedingungen, die sowohl standortspezifisch als auch in den verschiedenen Fachkulturen unterschiedlich sein können. Der Weg zur Professur ist zudem durch einen langen Sozialisierungsprozess mit entsprechender Prägung eines akademischen Habitus gekennzeichnet. 

Diese Bedingungen wurden systematisiert in Dimensionen überführt, um multiperspektivisch Entwicklungspotenzial für den gelingenden Kulturwandel aufzeigen zu können und zudem dabei zu unterstützen, implizite Normen und Werte auf einer expliziten Ebene sichtbar zu machen. Damit der Wandel im Sinne des neuen Paradigmas „Attrahieren – Fördern – Bleibeperspektive bieten“ gelingen kann, lohnt sich ein intensiverer Blick auf diese Dimensionen.

Dimensionen von Kulturwandel im Kontext der Tenure-Track-Professur

Folgende fünf Dimensionen konnten herausgearbeitet werden: die rechtliche, die Ressourcen-, die organisationale, die fachspezifische und die habituelle Dimension.  Die identifizierten Dimensionen werden im Kontext der Tenure-Track-Professur nachfolgend skizziert und analysiert. Auf diese Weise sollen abschließend Entwicklungspotenziale, orientiert am aktuellen Diskussionsstand im Netzwerk, für die Gestaltung des Kulturwandels als Weiterentwicklung von „Fördern – Qualifizieren – Wechseln“ hin zu „Attrahieren – Fördern – Bleibeperspektiven bieten“ aufgezeigt werden. Die hier geschilderten Aspekte und Ausprägungen in jeder Dimension können je nach Universität oder Bundesland variieren, was unterschiedliches Handeln nach sich ziehen kann. 

1. Die rechtliche Dimension 

Die frühe Karrierephase erscheint durch die Landeshochschulgesetze geregelt zu sein. Jedoch unterscheiden sich diese beim normativen akademischen Höchstalter promovierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Einstellungsvoraussetzung für eine Tenure-Track-Professur, wobei das Wisna-Programm zusätzliche Vorgaben formuliert. Diese im Ländervergleich unterschiedlichen Fristenreglungen bei der Einstellung von Tenure-Track-Professuren können wiederum dazu führen, dass jede Universität für sich die Zielgruppendefinition variabel auslegen kann und darauf aufbauend selbstständig Prüfsysteme sowie Handlungsvorgaben für Tenure-Track-Berufungen entwickelt (hat). Mit ihnen sollen sowohl Rechtssicherheit als auch die erforderlichen Qualitätsstandards gewährleistet werden. Erfahrungen in Bundesländern mit einer eher weiteren gesetzlichen Fristenregelung (sechs Jahre nach der Promotion, zum Beispiel Sachsen-Anhalt) stellen Beteiligte an Berufungsverfahren bei der rechtlichen Auslegung vor große Herausforderungen; so konnte die Frage über den Ausschluss eines habilitierten Privatdozenten von einem Berufungsverfahren für eine Tenure-Track-Juniorprofessur im Juli 2021 nur durch das Verwaltungsgericht Baden-Württemberg zugunsten der Universität beantwortet werden. Zusätzlich werden je nach Bundesland unterschiedliche Begriffe für den Karriereabschnitt promovierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Bewährungsphase mit Tenure Track gewählt, darunter die Tenure-Track-Dozentur (Baden-Württemberg) oder die Qualifikationsprofessur mit Entwicklungszusage (Hessen). Die Landeshochschulgesetze differieren auch in der Möglichkeit der Besoldungsgruppe von Tenure-Track-Professuren: Während einige Bundesländer lediglich die W1-Besoldung gesetzlich vorsehen, ermöglichen andere Bundesländer zusätzlich dazu den Einstieg mittels W2. Dies kann jedoch zur Herausforderung werden, wenn sich die Fragen stellen, wer zur Zielgruppe für eine Tenure-Track-Professur gehört und ob das momentane Besoldungssystem diesen Karriereweg angemessen erfasst. Schließlich müssen vor dem Hintergrund gesetzlicher Erfordernisse auch Qualitätsstandards für Evaluationsverfahren als zusätzliches Arbeitspaket in den Universitäten verfasst werden. 

Die beschriebenen Diskrepanzen und der durch die rechtlichen Vorgaben bedingte Mehraufwand gehen mitunter mit einer geringeren Akzeptanz des Karrierewegs der Tenure-Track-Professur einher, schmälern die standortübergreifende sowie länderübergreifende Vergleichbarkeit und sorgen auch bei den Bewerbenden für Unsicherheiten. Insbesondere die Anwendung der Fristenregelung lässt Berufungskommissionen befürchten, Personen mit alternativen Karrierewegen oder hochqualifizierte Frauen mit Kindern zu benachteiligen. Dieser enge zeitliche Rahmen wird auch nachteilig für Professuren mit erforderlichen beruflichen Zusatzqualifikationen gesehen (Schulpraxis, Approbation, Vikariat). Allgemein stellt sich die Frage, ob die Universitäten schon ausreichend geklärt haben, wer die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der frühen Karrierephase im deutschen Wissenschaftssystem sind, wenn die Universitäten ihren Gestaltungsspielraum nicht den Verwaltungsgerichten überlassen möchten. 

Entwicklungspotenzial wird in der Vereinfachung und Angleichung der gesetzlichen Landesregelungen gesehen. Mit einer Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen würde sowohl die Mobilität nationaler wie internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der frühen Karrierephase als auch ein „Attrahieren“ im Sinne des neuen Paradigmas erleichtert werden. Weiterhin können Anforderungsanalysen dazu beitragen, Erwartungen an die Zielgruppen beider Stellenvarianten – an die Einstiegsprofessur mit Tenure Track sowie an die zu überführende Lebenszeitprofessur – explizit zu gestalten und wichtige inhaltliche Diskussionen zu Anforderungen über rechtliche Vorgaben hinaus zu führen.

2. Die Ressourcen-Dimension

Ihrer Zugehörigkeit zur professoralen Statusgruppe entsprechend sind Tenure-Track-Professorinnen und -Professoren in Forschung, Lehre, Betreuung von Qualifikationsarbeiten, Gremienarbeit und mit Gutachtertätigkeiten aktiv und in den jeweiligen Fachbereich eingebunden. Gleichzeitig befinden sie sich in einer Qualifizierungs- beziehungsweise Bewährungsphase, die üblicherweise mit einer Entlastung von Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung und einer Reduzierung des Lehrdeputats einhergeht. Dadurch können sich Statusambivalenzen ergeben, die sich spürbar auf die Ressourcenfrage auswirken können und einer strukturellen Lösung bedürfen. Wenn zur Berechnung von Lehrkapazitäten nicht die Tenure-Track-Professur mit Lehrdeputatsreduktion, sondern die hinterlegte Professur mit vollem Lehrdeputat herangezogen wird, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Ressourcen des betreffenden Fachbereichs haben. Für einen gelingenden Kulturwandel wäre diese Differenz im Lehrbedarf anderweitig auszugleichen. Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2021 angedachte Anpassung der Kapazitätsverordnung könnte hier Abhilfe schaffen und damit neben den landesgesetzlichen Adaptionen ein wichtiger Baustein für die erfolgreiche Implementierung von Tenure Track sein.

Eine weitere wichtige Ressourcenfrage berührt die angemessene Ausstattung einer ­Tenure-Track-Professur. Orientieren sich Universitäten dabei an der Einstiegsprofessur oder an der bei einem Karriereaufstieg in Aussicht gestellten Professur? Zudem wäre zu hinterfragen, wie bereitwillig Universitäten mit der Möglichkeit einer negativ ausfallenden Tenure-Track-Evaluation beispielsweise in kostspielige Laborumbauten und Geräte investieren werden. Die verstärkte Nutzung von Shared Facilities mit klaren Nutzungsordnungen könnte das finanzielle Risiko minimieren und Kooperationen zudem weiter begünstigen. Auch die Förderbedingungen durch Drittmittelprogramme beeinflussen Ressourcenfragen. Für die Leitung eines Drittmittelprojekts wird zumeist eine Kongruenz von Förderzeitraum und Dauer des Dienstverhältnisses gefordert – bei dem befristeten Beamten- oder Angestelltenverhältnis einer Tenure-Track-Professur oft eine Herausforderung. Die Berücksichtigung der Tenure-Track-Professur in den Programmen der Wissenschaftsförderorganisationen wäre somit eine weitere wesentliche Ressourcenbedingung.

3. Die organisationale Dimension 

Mit der Etablierung der Tenure-Track-Professur werden Verantwortlichkeiten verlagert beziehungsweise neu definiert: Die Berufungskommissionen mit ihrer zentralen Rolle im Selbstergänzungsrecht der Universitäten sehen sich zusätzlichen Gremien wie internen oder externen Tenure Boards gegenüber. Damit es nicht bei einer rein formalen Einführung von Tenure Track und dessen Instrumenten bleibt, müssen sie in ihrer Funktion verstanden und akzeptiert werden. Entscheidungsbefugnisse und damit verbundene Machtpositionen müssen neu ausgelotet, legitimiert und transparent kommuniziert werden. Wenn Verfahrensbeteiligte und Entscheidungsbetroffene die Legitimation der neuen Verfahren erkennen und mitkonzipieren können, wird dies das Verständnis für den neuen Karriereweg befördern. 

Ein weiterer organisationaler Punkt betrifft die Erwartungen an eine frühe wissenschaftliche Unabhängigkeit und die geläufigen Personalstrukturen beziehungsweise Lehrstuhlprinzipien. Die Universitäten sehen sich dabei unterschiedlichen Standortfaktoren gegenüber: Die Einführung der Tenure-Track-Professur und die damit intendierte Weiterentwicklung der gesamten Personalstruktur bedarf aus Sicht des Wissenschaftsrats größerer Organisationseinheiten. Ein Vorschlag hierfür sind unter anderem Department-Strukturen. Sofern Universitäten bereits Organisationseinheiten etabliert haben, die den gemeinsamen Zugriff auf geteilte Ressourcen und niederschwellige Kooperationsmöglichkeiten erleichtern, werden sie vermutlich Tenure Track eher einbetten können.

4. Die fachspezifische Dimension 

Erwartungen und Traditionen im Fach beziehungsweise in der Fachgemeinschaft und damit Anforderungen an die Ausgestaltung der Tenure-Track-Phase können differieren und werfen Fragen bei der Vergleichbarkeit auf. Derzeit wird der Karriereweg der Tenure-Track-Professur zwischen den Fachdisziplinen unterschiedlich bewertet. Abhängig sei dies unter anderem davon, wie nah dieser Karriereweg am etablierten Weg im jeweiligen Fach sei. Zwar würden die meisten Tenure-Track-Professorinnen und -Professoren kollegial gleichwertig behandelt, allerdings hätten sie häufig bei Ressourcen- und Machtfragen weniger Einfluss und Mitspracherecht. Fachspezifisch wird oftmals implizit eine Habilitation zusätzlich zur Tenure-Vereinbarung erwartet, obwohl das Wisna-Programm die Tenure-Track-Professur als einen zur Habilitation zusätzlichen Karriereweg des „wissenschaftlichen Nachwuchses“ zur Professur beschreibt. 

Weitere Herausforderungen im Umgang mit bestimmten Fächergruppen ergeben sich zudem beim Zugang zur Tenure-Track-Professur durch fachbezogene Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen sowie erforderliche Praxiszeiten (vgl. rechtliche Dimension). Folglich könnte in manchen Fachdisziplinen die Tenure-Track-Professur als alternativer Karriereweg zur Lebenszeitprofessur als wenig passend für das eigene Fach angesehen werden. Rechtliche Vorgaben zu den Promotions- und Beschäftigungszeiten als Einstellungskriterium sollten in Einklang mit dem zeitlichen Umfang fachspezifischer Anforderungen der Qualifikation gebracht werden, insbesondere in Fächern mit Praxiszeiten, ohne dabei den Aspekt der frühen wissenschaftlichen Karrierephase außer Acht zu lassen. 

Personen auf Tenure-Track-Professuren erlangen in ihrem Fach die Berufbarkeit, die idealerweise über Instituts- und Ländergrenzen hinweg Gültigkeit hat. Dafür sind einerseits fachspezifische Auswahl- und Evaluationskriterien festzulegen und zu prüfen, andererseits beziehungsweise gleichzeitig sollen diese universitätsweiten und möglichst internationalen Standards entsprechen (vgl. zum Beispiel Coalition on Reforming Research Assessment [CoARA] 2022). Eine Weiterentwicklung der Forschungsbewertung hin zu qualitativen Maßstäben greift die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits in ihren Prinzipien wirksamer Karriereunterstützung in der Wissenschaft auf. Dies lässt wiederum Veränderungen in der Bewertungspraxis der Fachbereiche erwarten.

5. Die habituelle Dimension

Tempo und Ausmaß neu entstehender Professur-Varianten haben sich mit der Einführung der Juniorprofessur 2002, der Föderalismusreform 2006 und der Bund-Länder-Vereinbarung zur Tenure-Track-Professur 2016 merklich erhöht. Die bis dahin „relativ homogene Hochschullehrerschaft“ ­benötigt nun die entsprechende Zeit, um die neuen Logiken des Tenure-Track-Karriereweges zu reflektieren und in die Praxis umzusetzen. Derzeitige Berufungskommissionsmitglieder haben typischerweise einen anderen Weg auf ihre Professur durchlaufen. Sie stehen nun vor der Herausforderung, ihre zukünftigen Kolleginnen und Kollegen nicht nur anhand bisher erbrachter wissenschaftlicher Leistungen auswählen zu können, sondern müssen deren Potenzial einschätzen.

Das kollegiale Kooptationsprinzip in Verbindung mit dem professoralen Berufsethos könnte dazu führen, dass die Entscheidung für eine negative Evaluation zwischenmenschlich schwerfällt. Es ist momentan fraglich, ob das deutsche Wissenschaftssystem im Falle einer negativen Evaluation bereits genügend berufliche Alternativen bietet. Dabei empfahl der Wissenschaftsrat bereits vor mehr als 15 Jahren bei Erstberufung zunächst eine Befristung – dies soll helfen, Fehlentscheidungen bei Besetzungen korrigieren zu können. Jedoch sind auch beim etablierten Instrument der Erstberufung auf Probe negative Evaluationsergebnisse selten. Umso wichtiger wird die sorgfältige Auswahl in den Tenure-Track-Berufungsverfahren.

Bei der Vielzahl an Herausforderungen kann ein unabhängiges Tenure Board die Kolleginnen und Kollegen entlasten. Um den Bedenken hinsichtlich der Fehlentscheidungen bei Besetzungen zu begegnen, kann externe Expertise oder eine Begleitung durch die interne Personalentwicklung bei der Erstellung von Potenzialanalysen und bei der Definition von Evaluationskriterien unterstützen. Zur allgemeinen Akzeptanzsteigerung von Tenure Track können außerdem Vorbilder beitragen: Sowohl Akteurinnen und Akteure, die selbst diesen Weg durchlaufen haben, als auch die erfolgreichen Besetzungen selbst helfen, für Tenure Track zu werben. Zusammengefasst ist „Awareness“ für die Sozialisierung in die Professur eine entscheidende Voraussetzung für einen gelingenden Kulturwandel.

Bedingungen für einen gelingenden Kulturwandel

Die Ausführungen haben Wirkmechanismen, Abhängigkeiten und Zusammenhänge der jeweiligen Dimensionen aufgezeigt. Eine Akzeptanz und nachhaltige Implementierung des neuen Paradigmas in der Weiterentwicklung der Personalstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem werden somit nicht ad hoc, wie am Beispiel der Tenure-Track-Professur gezeigt, sondern im schrittweisen Wechselspiel verschiedener Dimensionen gelingen können.

Lobenswert ist die Aufnahme der Tenure-Track-Professur als neue Personalkategorie in die Landeshochschulgesetze. Wenn in den folgenden Novellierungen eine Harmonisierung der Rahmenregelungen bei gleichzeitiger Flexibilisierung der Zugangswege gelänge, würde dies die Hochschulen bei der weiteren Implementierung von Tenure Track zuverlässig unterstützen. In eine ähnliche Richtung laufen auch die derzeit anstehende Überarbeitung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und die in der damit verbundenen hochschulpolitischen Diskussion geäußerte Aufnahme neuer Personalkategorien in die Landeshochschulgesetze. Ein weiterer Lösungsansatz könnte durch den Einbezug verschiedener Stakeholder und den Austausch von Best Practices eine sicherere Rechtsanwendung sein.

Ressourcenallokationen bewegen Hochschulen als fortwährendes Thema. Der nächste Monitoring-Bericht der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), der für Ende 2023 erwartet wird, könnte aufzeigen, wie gut es den im Wisna-Programm erfolgreichen Universitäten gelungen ist, ihre Tenure-Track-Professuren angemessen auszustatten. Über Fragen der Primärausstattung hinaus wäre auch ein hochschulpolitischer Diskurs über Arbeitszeitressourcen und eine Weiterentwicklung des Zugangs zu Drittmittelressourcen wünschenswert. Anpassungen in den Förderbedingungen von Drittmittelprogrammen wären dafür förderlich, so beispielsweise die Öffnung des Professorinnen-Programmes des Bundes oder die Einrichtung spezieller Programmlinien für Tenure-Track-Professuren. Eine strukturelle Anpassung des Kapazitätsrechts könnte – wie oben erläutert – einen entscheidenden Schub für die nachhaltige Implementierung leisten. Zurzeit sind die Universitäten auf kreative Individuallösungen angewiesen, um einerseits ihren Tenure-Track-Professuren ein reduziertes Lehrdeputat zu ermöglichen und andererseits die festgelegte Kapazität des vollen Deputats zu erbringen. Flexiblere Stellenpläne und -hülsen, die dem Karriereweg Tenure Track entsprechen, könnten Ressourcenfragen transparenter gestalten. In der organisationalen Dimension wäre der aufgezeigte Wandel von Organisations- und Personalstrukturen eine Chance für die Tenure-Track-Professur und kann deren nachhaltige Implementierung befördern. Strukturen zur gemeinsamen Ressourcennutzung, kodifizierte Nutzungsordnungen und gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten zu geteilten Einrichtungen erleichtern Tenure-Track-Professorinnen und -Professoren den rasch benötigten Einstieg in die Forschung. Die Wichtigkeit, Entscheidungsträgerinnen und -träger einzubeziehen und Vorbilder zu schaffen, zeigt sich in der fachspezifischen und in der habituellen Dimension, die beide das Thema der „Awareness“ adressieren. Die Akzeptanz neuer Instrumente in Berufungsverfahren wie Potenzialanalyse oder Anwendung von Anforderungsanalysen könnte durch gelungene Praxisbeispiele und eine breite Diskussion mit der Fachgemeinschaft befördert werden.

Wie gezeigt werden konnte, besteht eine Interaktion zwischen diesen Dimensionen: Beispielsweise beeinflussen Änderungen von rechtlichen Rahmenbedingungen (rechtliche Dimension) etwa in der Kapazitätsthematik den Arbeitsumfang der Adressierten (Ressourcen-Dimension). Gleichzeitig wirft dies die Frage auf, wie Personalstrukturen bei bestimmten Kapazitätsvorgaben am eigenen Standort gestaltet werden können (organisationale Dimension), wie dies von den Fächern angenommen und bewältigt wird (fachspezifische Dimension) sowie im Professionskontext akzeptiert und umgesetzt wird (habituelle Dimension). Dieser integrative Ansatz visualisiert zudem, dass Bewegungen innerhalb einer Dimension die anderen ebenfalls betreffen. Hier könnte sich das Engagement lohnen, gemeinsam voranzuschreiten: So zeigt sich jüngst im 2022 verabschiedeten Bayerischen Hochschulinnovationsgesetz, dass die Fristenregelung für Junior­professuren inzwischen stark an die Maßgabe des Wisna-Programms angeglichen wurde. Ein iterativer Prozess hat hier zu einer Harmonisierung rechtlicher Regelungen und den Vorstellungen der frühen Karriere­phase für die Berufung von Tenure-Track-Professorinnen und -Professoren geführt.

Für einen gelingenden Kulturwandel als Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung der Tenure-Track-Professur und der Weiterentwicklung der Personalstrukturen im Wissenschaftssystem bedarf es somit eines Zusammenschlusses der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure, von der Hochschulleitung und zentralen Support-Einheiten, der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den Fachgesellschaften über die Länder und die Bundesebene bis hin zu den Wissenschaftsförderorganisationen sowie weiteren Beteiligten in der hochschulpolitischen Diskussion, nicht zu vergessen den Bewerberinnen und Bewerbern auf Tenure-Track-Professuren. Gerade in diesem Zusammenspiel können die Entwicklungspotenziale des angestrebten Kulturwandels ausgeschöpft und die damit verbundenen Herausforderungen gemeistert werden. Dies allerdings setzt eine transparente Kommunikation zwischen allen Akteursgruppen, eine offene und mutige Fehlerkultur und die Mitnahme aller Beteiligten, verbunden mit einer Neuverteilung von Verantwortlichkeiten, voraus. Denn nur mit Veränderungswillen lässt sich der Kulturwandel nachhaltig und für alle gewinnbringend umsetzen und sind die mit den neuen Personalstrukturen in Verbindung gebrachten Ziele zu erreichen. //

Info: Tenure Track

Die Möglichkeit von Tenure Track als Zusatz bei der Ausschreibung wurde im Rahmen der 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes 2002 mit der Einführung der Juniorprofessur geschaffen, jedoch in der Realität wenig genutzt. 

Der Begriff Tenure Track, der aus dem US-amerikanischen Wissenschaftssystem entlehnt ist, bezeichnet den „Weg zur Anstellung auf Lebenszeit“ auf einer Professur. Um das System Tenure Track nachhaltig zu stärken und flächendeckend zu implementieren, wurde 2016 das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ins Leben gerufen. Ziele des Programms sind, transparentere, verlässlichere und familienfreundlichere Karrierewege zu schaffen und die internationale Attraktivität des deutschen Wissenschaftssystems zu steigern. Mit einem Volumen von einer Milliarde Euro für insgesamt 1000 geförderte Tenure-Track-Professuren hat das Programm zum Ziel, einen Kultur- und Strukturwandel an Universitäten voranzutreiben sowie die akademische Personalstruktur diverser und durchlässiger zu gestalten (vgl. Verwaltungsvereinbarung des Bund-Länder-Programms zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses 2016, Präambel).

Flankiert durch die #IchBinHanna-Debatte und den Koalitionsvertrag 2021 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zeigt sich der politische Impetus, diesen Karriereweg dauerhaft in der Hochschullandschaft zu implementieren.

Alexandra Franke-Nanic, M.A.

ist Referentin für Tenure Track am Center for Graduate & Postgraduate Researchers der Universität Regensburg und operative Leitung des Wisna-Projekts.

Foto: A. Franke-Nanic

Dr. Nicole Thaller

ist Referentin für strategische wissenschaftliche Karriereentwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt und operative Leitung des Wisna-Projekts.

Foto: Uni Frankfurt, Uwe Dettmar

Dr. Rebecca Thier-Lange

ist Referentin für strategische Personalentwicklung und Tenure-Track-Professuren an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und operative Leitung des Wisna-Projekts.

Foto: Iona Dutz

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