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Wissenschaftsrecht für Fortgeschrittene

Das Grundgesetz, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und einer Vielzahl an Sondergesetzen und Verordnungen bieten Schutz, um frei forschen, lehren und studieren zu können. Das zunehmend komplexer werdende Wissenschaftsrecht ermöglicht diese Freiheit, macht es jedoch auch notwendig, dass Experten durch diese Vielfalt lotsen.

Hochschulrahmengesetz, Bologna, Einführung der Globalhaushalte, Internationalisierung, Digitalisierung: Angesichts der zunehmend schneller werdenden Veränderungsanforderungen in Hochschule und Forschung wurde es in den letzten Jahrzehnten notwendig, die für die Wissenschaft grundlegend wichtigen Freiheiten im Hochschul- und Wissenschaftsrecht neu zu regeln. Um Hochschulleitungen und Verwaltungen durch diese sehr komplexen Regelungen und Vorschriften zu führen und ihre Interessen zu vertreten, wurde 1994 der Verein zur Förderung des deutschen & internationalen Wissenschaftsrechts gegründet. Hochschulen haben Stabsstellen eingerichtet, etwa für Hochschulrecht (an der Technischen Universität Darmstadt, der Medizinischen Hochschule Hannover sowie an den Universitäten Hamburg und Marburg) oder für Wissenschaftsrecht (an der Universität Göttingen).

Diese beraten unter anderem zu rechtlichen Aspekten von: Dienst- und Arbeitsrecht, Berufungs- und Bleibeangelegenheiten, Erfinder- und Datenschutzrechten, Hochschulbau, Hochschulkooperationen, der klinischen Forschung an Menschen und Tieren, Prüfungs- und Zulassungsrecht. Die Vielzahl der Herausforderungen an die Expertinnen und Experten für Wissenschaftsrecht betreffen aber nicht nur praktische Fragen des Hochschulalltags, sondern zunehmend auch gesellschaftliche und politische Phänomene, die Einfluss nehmen auf Hochschulen und Forschungsinstitute – darunter Populismus und Expertokratie, Cancel Culture, Gendern, wissenschaftliches Fehlverhalten, das Einfrieren von Kooperationen oder der Umgang mit Dual-Use-Forschung.

Als Anfang 2022, infolge des Ukraine-Krieges, Bundes- wie Landesministerien für Forschung und Wissenschaft, der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Allianz der Wissenschaftsorganisationen die Empfehlung gaben, wissenschaftliche Kooperationen mit Russland mit sofortiger Wirkung einzufrieren, wurden Hochschulleitungen und Wissenschaftsmanager mit der Frage möglicher rechtlicher Konsequenzen dieser Entscheidungen konfrontiert. Denn Fördergelder waren an ihre Hochschulen und Forschungsinstitute bereits geflossen. Mit den Kooperationsvereinbarungen waren Verpflichtungen verbunden, die jetzt nicht mehr eingehalten werden konnten. 

Den Überblick über komplexe Rechtslagen behalten und richtig entscheiden

Antworten und Hilfestellungen, wie diese äußerst komplexen Sachverhalte zu bewerten sind, geben Experten für Wissenschaftsrecht wie Prof. Dr. Max-Emanuel Geis, Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und Hochschulrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg. Auf Anfrage der DUZ wies er im Februar 2022 darauf hin: „Die Frage, ob ein Einfrieren der Kooperationsbeziehungen rechtswidrig ist, ist auch inhaltlich schwierig zu beantworten: Nach deutschem Recht könnte man wohl auf einen (vorübergehenden oder dauernden) Wegfall der Geschäftsgrundlage abstellen (§ 313 BGB); allerdings existieren hier auch hier keine Präzedenzfälle. Im Ergebnis ist es jedoch wenig ergiebig, ob man hier Kategorien der Rechtswidrigkeit anlegt, da die Vertragspflichten nicht durchgesetzt werden können (eine russische Universität oder ein Forschungsinstitut wird derzeit nicht vor einem deutschen Gericht klagen oder ein Schiedsgericht erwirken). In diesem Fall herrscht schlicht und einfach die normative Kraft des Faktischen. Nach Auskunft der DFG als Geldgeber können Forschungsgelder wohl insofern behalten und weiterverwendet werden, wenn damit die Forschungsprojekte – wenngleich eingeschränkt – auch ohne den ausländischen Anteil weitergeführt werden können. Eine anderweitige Verwendung ist aber nicht möglich, da die Mittel zweck- und projektgebunden vergeben wurden. Damit können zwar laufende Verträge erfüllt werden (insbesondere Personal); eine Förderung anderer Vorhaben bedarf aber eines neuerlichen Antragsverfahrens. Nicht verwendete Beträge sind zurückzuzahlen.“ – Ein Beispiel von vielen dafür, wie Wissenschaftsrechts­experten es Hochschulleitungen im universitären Alltag ermöglichen, den Überblick über nicht selten komplexe Rechtslagen zu behalten und wirksame Entscheidungen zu treffen.

Political Correctness kann die Wissenschaftsfreiheit gefährden

Dass die Wissenschaftsfreiheit derzeit jedoch nicht durch staatliche Akteure, sondern auch durch Akteure des Wissenschaftssystems selbst bedroht sein kann – darauf verwies Prof. Dr. Bernd Kempen auf einer Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen & internationalen Wissenschaftsrechts im Juni 2021. Besonders kritisch sieht der Professor für Staatsrecht, Völkerrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln das Vorgehen rund um den Trend zu Cancel Culture und dadurch auch eine Engführung des wissenschaftlichen Diskurses. Er beobachte, so Kempen, eine signifikante Häufung von Fällen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich durch Political Correctness in ihrer Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt fühlen. Dies würde zu einem schleichenden Aushöhlungsprozess der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit führen, so seine Kritik. Verfassungsrechtliche Garantien, also rechtliche Maßnahmen, würden da nur begrenzt helfen. Stattdessen müsse dem selbstverschuldeten Verlust der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit mit wissenschaftlicher Aufklärung und Lehr- und Meinungsvielfalt entgegengetreten werden – so der eindringliche Appell des Kölner Rechtsprofessors an die Kolleginnen und Kollegen an den Hochschulen. //

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